Süddeutsche Zeitung

Krise in Ägypten: Vizepräsident Omar Suleiman:Ein Agent für alle Fälle

Lesezeit: 3 min

Omar Suleiman rettete Ägyptens Präsident Mubarak einst das Leben und verhandelte geduldig mit Israelis und Palästinensern. Nun ist der frühere Geheimdienstchef der mächtigste Mann des Landes - und vermittelt zwischen Regime und Opposition.

Matthias Kolb

Offiziell ist Omar Suleiman nur die Nummer zwei in Ägypten, doch an seiner wahren Position bestehen keine Zweifel: Laut New York Times weisen US-Diplomaten Suleiman eine Schlüsselrolle im Machtpoker am Nil zu und der Guardian nennt den Vizepräsidenten "den mächtigsten Mann des Landes".

Der 74-Jährige tut momentan zwei Dinge, die er besonders gut kann. Er versucht, Noch-Präsident Hosni Mubarak zu helfen und er vermittelt in einer verzwickten Lage zwischen vielen Akteuren mit widerstreitenden Interessen. In beiden Feldern hat Suleiman Erfahrung, denn er diente dem Alleinherrscher seit 1993 als Chef aller Geheimdienste und hat ihm mindestens ein Mal das Leben gerettet.

Am 26. Juni 1996 bestand Suleiman darauf, dass der Präsident für die Fahrt vom Flugplatz der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba in die Stadt eine eigens mitgebrachte gepanzerte Limousine benutzte - nur deswegen überlebte Mubarak einen Anschlag der Terrorgruppe Gamaat al-Islamyya.

Trauzeuge des Mubarak-Sohnes

Seither gelten der 82-jährige Mubarak und der acht Jahre jüngere Suleiman als unzertrennlich: Sie sehen sich üblicherweise zwei Mal am Tag und Mubaraks "Auge und Ohr" ist sogar bei dessen Arztkonsultationen dabei, was angesichts des fragilen Gesundheitszustands des Pharao als enormer Vertrauensbeweis gelten kann. Zudem war Suleiman Trauzeuge bei der Hochzeit von Gamal Mubarak, den sein Vater zum Nachfolger auserkoren hatte.

Der in Oberägypten geborene Suleiman war als 19-Jähriger zum Militär gegangen und wurde zunächst in Moskau an der Frunse-Militärakademie ausgebildet - auch Mubarak verbrachte einige Jahre in der Sowjetunion. In den achtziger Jahren erhielt Suleiman eine Ausbildung an der elitären John F. Kennedy Special Warfare School der US-Armee in Fort Bragg. Er ist verheiratet, hat drei Töchter und gilt als gläubiger Muslim.

Die Neue Zürcher Zeitung umschrieb die herausragende Rolle des studierten Politologen im November 2010 mit dem Bild, Suleiman ziehe im Präsidentenpalast "nicht nur politische Fäden, sondern Seile". Besonders geschätzt war dessen Fähigkeit, für Stabilität und Ausgleich im Nahen Osten zu sorgen. Immer wieder vermittelte er zwischen der islamistischen Hamas und der Fatah von Palästinenserpräsident Machmud Abbas, zudem war er in Tel Aviv und Washington ein ebenso geachteter und respektierter Gesprächspartner wie in der syrischen Hauptstadt Damaskus.

Den Spitznamen "Agent für alle Fälle", dem ihm etwa die Frankfurter Rundschau verpasste, verdiente sich Suleiman auch dadurch, dass er auch für Saudi-Arabien, Iran, den Libanon und das riesige Nachbarland Sudan zuständig ist - "alle neuralgischen Punkte im Umfeld Ägyptens fallen in seine Kompetenz", bilanziert die Süddeutsche Zeitung.

Insofern war es kaum verwunderlich, dass Mubarak in einem ersten Schritt des Zugeständnisses ausgerechnet Suleiman zum Vizepräsidenten ernannte und damit einen jahrzehntelange verwaisten Posten besetzte. Die Geheimdienste kennt Suleiman bestens und laut New York Times besitzt er den stärksten Rückhalt im Militär und hat zugleich beste Kontakte zur Polizei, die in der Bevölkerung verhasst ist. Der Guardian nennt Suleiman den Kopf einer Junta von Offizieren, die den verdienten Luftwaffengeneral Mubarak nur noch als Aushängeschild benutzten.

Hinter den Kulissen spricht der als guter Taktiker beschriebene Suleiman mit US-Botschafterin Margaret Scobey und Washingtons Sondergesandten Frank Wisner, er verhandelt mit Mohamed ElBaradei und anderen Oppositionsgruppen über eine Verfassungsreform und informiert offenbar regelmäßig die Generale und Mubarak. Die Sorgen der Wirtschaftselite, die sich in der Vergangenheit bereicherte und um ihren Reichtum bangt, wird er ebenso zu berücksichtigen haben wie den Imageverlust des Tourismuslandes Ägypten.

Nach Informationen des Senders al-Arabija hat das Büro Suleimans auch telefonischen Kontakt zu den Vertretern der Protestgruppen auf dem Tahrir-Platz. Dass die verschiedenen Oppositionsgruppen den früheren Geheimdienstchef offenbar als Vermittler akzeptieren könnten, wurde in den letzten Tagen deutlich.

Man fordert weiterhin den Rücktritt Mubaraks und erwartet, dass "die Führung einen Zeitplan für die Umsetzung dieser Forderungen präsentiert. Erst dann sind wir bereit, einen Dialog mit Vizepräsident Omar Suleiman zu beginnen", hieß es. Ganz konsensfähig scheint diese Haltung nicht zu sein: Während des "Marsches der Million" am gestrigen Dienstag skandierten Demonstranten auch "Hosni Mubarak, Omar Suleiman, ihr seid beide Agenten der USA".

Hartes Vorgehen gegen Islamisten und Oppositionelle

Als Geheimdienstchef hatte Suleiman, der im Ministerrang für alle Sicherheitsangelegenheiten zuständig war und nur Mubarak persönlich unterstand, immer wieder erkennen lassen, dass ihm die Stabilität des Regimes viel wichtiger ist als Meinungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit oder gar Demokratie.

Unter seiner Ägide wurden viele militante Islamisten Ägyptens getötet und die Muslimbrüder, mit denen er nun verhandeln muss, streng überwacht. Die Zahl der politischen Gefangenen, die ohne Gerichtsurteil im Kerker saßen, sank nach SZ-Informationen selten unter zehntausend. Suleiman spielte das Spiel Mubaraks, sich gegenüber dem Westen als Garant der Stabilität und einziger Schutz vor den "bärtigen Islamisten" zu gerieren, virtuos mit.

Hartnäckig halten sich Gerüchte, Suleiman sei bei Verhören dabei gewesen, in denen gefoltert wurde. Dies berichten Oppositionelle, die aus der Haft des Geheimdienstes frei kamen und nennen Details über den Einsatz von Elektroschocks und über Waterboarding, wobei Häftlinge beinahe ertränkt werden.

Es gilt als wahrscheinlich, dass Omar Suleiman, der einige Herzoperationen hinter sich hat, in einer Übergangsregierung eine wichtige Rolle spielen könnte, bevor im September ein neues Parlament und ein neues Staatsoberhaupt gewählt wird. Seine eigenen Chancen bei einer freien Wahl gelten als zweifelhaft - zu eng sind die Verbindungen zum Pharao Mubarak.

Zuvor müsste Suleiman noch sein Meisterstück ablegen: Der 74-Jährige muss seinen Förderer Mubarak zum sofortigen Rückzug überreden. So könnte Suleiman eine Eskalation in Kairo verhindern und vielleicht einen letzten Funken Anerkennung für das lange politische Leben Mubaraks unter den 80 Millionen Ägyptern sichern.

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