Süddeutsche Zeitung

Krieg in Libyen:Gaddafis Öl-Zar läuft zu Rebellen über

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Seine Flucht aus Libyen war vom Regime zunächst als "Dienstreise" abgetan worden. Nun hat sich Gaddafis früherer Ölminister Ghanim in Rom als Unterstützer der Rebellen offenbart. Er ist der zweite prominente Überläufer. Derweil spricht der UN-Menschenrechtsrat von "Kriegsverbrechen" des Gaddafi-Regimes, kritisiert aber auch die Menschenrechtsverletzungen der Rebellen scharf.

Der frühere libysche Ölminister Schukri Ghanim hat sich vom Regime des Machthabers Muammar al-Gaddafi losgesagt und hält sich jetzt in Rom auf. Ghanim bestätigte am Mittwoch, die Rebellen zu unterstützen. "In dieser Lage kann man nicht mehr arbeiten, also habe ich mein Land verlassen und meine Arbeit aufgegeben", sagte Gaddafis früherer Spitzenfunktionär in Rom, wie italienische Medien berichteten.

Ende März hatte die Flucht von Libyens Außenminister Mussa Kussa nach Großbritannien für großes Aufsehen gesorgt. Ghanim kündigte jetzt an, er schließe sich den libyschen Aufständischen an, die für ein demokratisches Land kämpften. Er arbeite aber noch nicht mit dem Nationalen Übergangsrat der Aufständischen in Bengasi zusammen.

Ghanim hatte sein Land auch bei der Organisation ölexportierender Staaten (Opec) vertreten und war zuletzt Vorsitzender der staatlichen libyschen Ölgesellschaft.

Libyens Diktator Gaddafi sei bereits dabei zu verhandeln, sagte Ghanim mit Verweis auf dessen Treffen mit dem südafrikanischen Präsidenten Jacob Zuma zu Wochenbeginn. In Libyen gebe es jetzt viel inneren Druck und den Druck von außen. "Wir müssen abwarten und sehen, was passiert, es gibt so viele Möglichkeiten, auch die friedliche Lösung", so der geflohene Ex-Minister.

Ghanim hatte sich nach Medienberichten bereits vor zwei Wochen nach Tunesien abgesetzt. Gaddafi-Offizielle sprachen damals von einer Dienstreise des libyschen "Öl-Zaren".

In Oppositionskreisen hatte es schon vor längerer Zeit geheißen, er wolle Tripolis verlassen. Er habe jedoch zunächst keine Gelegenheit dazu gefunden, da alle Top-Funktionäre, an deren Loyalität Zweifel bestünden, streng überwacht würden.

Ghanim sagte in Rom, er habe viele Jahre gedacht, Reformen von innen her durchsetzen zu können. "Dieses ist nicht möglich, vor allem jetzt nicht, wo wir das Blutvergießen sehen." Gaddafi selbst habe er zuletzt vor Monaten getroffen. Er wisse noch nicht, was seine nächste Station sein werde, so Ghanim über sich selbst, Seine Familie sei teilweise in Libyen und teilweise außerhalb des Landes. Auf Nachfragen sagte er, über das Schicksal von Gaddafis Frau und der Familie nichts zu wissen.

UN-Ermittler werfen Gaddafi-Regime und Rebellen Kriegsverbrechen vor

Unterdessen hat eine Ermittlerkommission des UN-Menschenrechtsrats sowohl den Truppen des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi als auch den Rebellen Kriegsverbrechen vorgeworfen. Die Regierungskräfte hätten Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen begangen, teilte die Kommission in Genf mit. Es lägen aber auch Berichte über Gewaltakte der Rebellen vor, die "den Tatbestand von Kriegsverbrechen erfüllen könnten", heißt es in dem Bericht der drei UN-Ermittler. Die Verstöße der Oppositionellen hätten aber einen geringeren Umfang.

Die 47 Mitgliedstaaten des UN-Menschenrechtsrates hatten im Februar einstimmig beschlossen, eine Kommission einzusetzen, um mutmaßliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch die Regierung von Machthaber Gaddafi zu prüfen. Geleitet wurde das Team vom früheren UN-Ermittler für Kriegsverbrechen, dem Ägypter Scherif Bassiuni. Die Ermittler waren unter anderem in die libysche Hauptstadt Tripolis und in die Rebellenhochburg Bengasi gereist und hatten mehr als 350 Personen befragt.

Vor der Vorstellung des Berichts der drei UN-Ermittler hatte bereits der Chefankläger des internationalen Strafgerichtshofs, Luis Moreno-Ocampo, mitgeteilt, er habe Beweise dafür, dass das Gaddafi-Regime Menschenrechtsverbrechen begangen habe, darunter auch sexuelle Übergriffe. Moreno-Ocampo beantragte deshalb Haftbefehle gegen Gaddafi, dessen Sohn Saif al-Islam und den libyschen Geheimdienstchef Abdullah al Sanussi.

Heftige Explosion in Bengasi

Die Gewalt in Libyen geht ungeachtet dessen weiter: In der libyschen Rebellenhochburg Bengasi ist am Mittwochabend ein Hotel durch eine heftige Explosion schwer beschädigt worden. Der Fernsehsender Al-Dschasira berichtete von einer riesigen Explosion am Hotel Tibesti. Der Sender Al-Arabija meldete, anscheinend sei ein Auto auf dem Hotelparkplatz detoniert. Über Opfer gab es zunächst keine Informationen. Auch die Ursache der Explosion war unklar. Vieles deutet aber nach den Berichten auf eine Bombe hin.

Das zentral gelegene Hotel am Meer wurde in der Vergangenheit häufig für Pressekonferenzen der Rebellen genutzt. Außerdem hatte der Nationale Übergangsrat Büros in dem Haus.

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