Süddeutsche Zeitung

Israel:Zeit zu gehen

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Premier Netanjahu will einfach nicht wahrhaben, dass er längst hätte zurücktreten müssen. Stattdessen spaltet er weiter die Gesellschaft - und muss nun vor Gericht.

Kommentar von Alexandra Föderl-Schmid

Dieser Donnerstag war ein historischer Tag in Israel, gleich zwei Mal wurde Geschichte geschrieben. Zum ersten Mal seit der Staatsgründung 1948 wurde das Mandat zur Regierungsbildung der Knesset überantwortet. Zuvor waren Benjamin Netanjahu und Benny Gantz mit dem Versuch gescheitert, eine Koalition zustande zu bringen.

Am Abend erklärte dann Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit, dass erstmals ein amtierender israelischer Ministerpräsident angeklagt wird. Netanjahu wird Bestechlichkeit, Betrug und Untreue vorgeworfen - es drohen Strafen von bis zu zehn Jahren Haft, es sind also keine Bagatelldelikte. Man nahm es dem Generalstaatsanwalt ab, dass es eine schwierige Entscheidung für ihn war.

Netanjahu ließ bei seinem Auftritt dagegen seinem Furor freien Lauf. Er sieht in dem Vorhaben, ihn vor Gericht zu stellen, nichts weniger als einen "Putschversuch". Der Politiker des rechtsnationalen Likud ging sogar so weit zu behaupten, sein Blut und das seiner Familie werde vergossen. Seine Forderung nach "Untersuchungen gegen die Ermittler" erinnerte an eine Attacken seines Freundes im Weißen Haus, Donald Trump. Angriff ist auch Netanjahus Form der Verteidigung. Er ist der Ansicht, er stünde über dem Gesetz, und er stellt die Gewaltenteilung infrage. Er greift die Integrität des Generalstaatsanwalts an, der sich dem Recht und nicht dem Regierungschef verpflichtet fühlt. Netanjahu unterminiert die Autorität des Obersten Gerichtshofs, der sich schon häufig als Korrektiv von Entscheidungen der Netanjahu-Regierung erwiesen hat.

Einen Rücktritt schreibt das Gesetz nur Ministern vor, gegen die Anklage erhoben wird. Bei einem Ministerpräsidenten würde es der Anstand gebieten, doch Netanjahu lehnt einen Rücktritt ab. Sein Kalkül ist, dass er als Regierungschef auf der Anklagebank in einer besseren Position ist und so auch eine bessere Ausgangslage für den Wahlkampf hat.

Netanjahu klammert sich nach zwölf Jahren als Ministerpräsident an die Macht. Er will nicht wahrhaben, dass seine Partei bei der Parlamentswahl im September nur Zweiter geworden ist. Netanjahu hält sich für unersetzlich. Immer wieder erklärt er, nur er könne für Israels Sicherheit sorgen. Dabei ist es die Instabilität durch das seit einem Jahr andauernde politische Gerangel, was die Sicherheit Israels gefährdet. Als Angeklagter im Gerichtssaal wird er den Anforderungen des Amtes sicher nicht gerecht werden können. Davon abgesehen schadet es dem Ansehen des Landes, wenn sein Ministerpräsident wegen Korruption angeklagt ist. Aber das ist Netanjahu egal. Seine politischen Kampagnen dienen ohnehin seinen persönlichen Interessen. Mit seinen Attacken schwächt er den Rechtsstaat und damit die Demokratie, auf die die Israelis stolz sind.

Die Korruptionsvorwürfe gegen Netanjahu werden die politische Debatte in nächster Zeit bestimmen. Präsident Reuven Rivlin sprach von einem "erbärmlichen Zustand" der israelischen Politik. Bei der Übergabe des Mandats an die Knesset hat Rivlin den Appell formuliert, "politische Kalkulationen beiseite zu schieben" und sich zu fragen: "Was ist meine Pflicht gegenüber dem Staat Israel?" Dabei hatte er Netanjahu im Blick. Dessen Antwort auf Rivlins Frage müsste lauten: Ich trete zurück. Aber nur Parteifreunde und Gerichte können ihn zur Einsicht bringen, dass es Zeit ist zu gehen.

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Quelle:
SZ vom 22.11.2019
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