Süddeutsche Zeitung

Letzte Projekte von Schwarz-Rot:Ein Gesetz für dich, eins für mich

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Sieben Milliarden Euro für die Pflege, mehr Frauen in Führungspositionen und worauf sich die Koalition in ihren letzten Wochen sonst noch einigen könnte.

Von Cerstin Gammelin

Noch drei Sitzungswochen sind es, dann hat der 19. Bundestag seine Arbeit getan, zumindest formal. Drei Wochen verbleiben den Abgeordneten, um alles zusammenzukehren, was an Projekten über die vergangenen fast dreieinhalb Jahre hinweg liegen geblieben, verschoben oder verhindert worden ist. Das wird ein ansehnlicher Haufen. Die "Vorhabendokumentation der Bundesregierung" umfasst, Stand 3. Mai, 173 Seiten. Und auf dem Deckblatt findet sich der Hinweis: Auswahl. Könnte also gut sein, dass es noch mehr Unerledigtes gibt.

Was die Aufgabe - die Liste wenigstens teilweise abzuarbeiten - für die Koalitionäre noch ambitionierter macht, als sie ohnehin erscheint, ist der Bundesrat. Die Länderkammer tagt noch zwei Mal, Ende Mai und Ende Juni, und alles, was in Kraft treten soll und zustimmungspflichtig ist, muss rechtzeitig dem Bundesrat zugeleitet werden. Die Wahrscheinlichkeit aber ist dennoch gering, dass die Ländervertreter gezwungen sein könnten, das zu machen, was die Abgeordneten wegen gesundheitlicher Risiken seit einiger Zeit vermeiden, nämlich Nachtschichten. Denn Union und SPD sind längst im Wahlkampf und damit in einer Beziehung, in der der eine dem anderen keinen Stich mehr gönnt. Und jeder sein Profil schärfen will. Die Folge ist, dass vieles, was auf den 173 Seiten steht, abgeheftet ins Archiv überwiesen werden wird. Oder im Wahlkampf wieder auftaucht.

Zur Modernisierung der Riester-Rente hat Olaf Scholz schlicht nichts vorgelegt

Zu den Wiedergängern könnten so prominente Vorhaben gehören wie die Modernisierung der Riester-Rente. SPD und Union hatten sich die "zügige Entwicklung eines attraktiven standardisierten Riester-Produkts" in den Koalitionsvertrag geschrieben. Man hatte den norwegischen Staatsfonds vor Augen, der Bürger an seinen Anlagen teilhaben lässt. Bis heute lässt allerdings ein Gesetzesvorschlag aus dem Hause Scholz auf sich warten. Das könnte darauf hindeuten, dass der Bundesfinanzminister und Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten nicht viel von dieser Art Vorsorge hält.

Die Union wiederum hat Mängel am "Gesetz zur Stärkung der Integrität der Wirtschaft" gefunden, das das sozialdemokratisch geführte Justizministerium vorgelegt hat. Hinter dem bürokratischen Namen verbergen sich neue Regeln gegen Unternehmenskriminalität. Die Firmen selbst sollen für Betrug haftbar gemacht werden können - bisher sind das nur Einzelpersonen. Im Falle des Abgasbetrugs von Volkswagen müsste also der Konzern als Ganzes haften und nicht nur ein ehemaliger Vorstandsvorsitzender. Für geschädigte Kunden und Geschäftspartner wäre das eine gute Nachricht.

Ganz und gar untergegangen in der Pandemie ist ein Gesetzesvorhaben, das im Wahlkampf 2017 zur Priorität erklärt worden war - nämlich befristete Arbeitsverhältnisse zu stoppen, wenn es für die Befristung keinen sachlichen Grund gibt. Sie würden zu häufig missbräuchlich genutzt, sagte der später zuständige Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und schickte zügig - noch vor Corona - einen Gesetzentwurf an Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU). Wo er seither liegt. Wie das Arbeitsministerium auf Nachfrage einräumte, verweigere das Kanzleramt die Abstimmung mit anderen Ressorts.

Das Lieferkettengesetz soll noch kommen

Einige Arbeitsnachweise wollen die Koalitionäre indes noch liefern, frei nach der Methode, ein Gesetz für dich und eins für mich und eins für beide. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hätte gerne die Pflegereform durchgesetzt, er will sechs bis sieben Milliarden Euro Steuerzuschuss, um Tariflöhne zu erhöhen und die Angehörigen, die für Verwandte in Pflege zahlen, weniger zu belasten. Die SPD wiederum kämpft für das von den sozialdemokratischen Ministerinnen Franziska Giffey (Frauen, Familie) und Christine Lambrecht (Justiz) vorgelegte Gesetz für mehr Frauen in Führungspositionen. Die Koalitionsarbeitsgruppe hatte sich schon geeinigt; dann legte die Unionsfraktion in den parlamentarischen Verhandlungen neue Ausnahmeforderungen vor. Die Vize-Fraktionschefinnen von SPD und Union versuchen, sich zu einigen.

Zwei Monate ist es her, dass die Bundesregierung mitteilte, das Kabinett habe das Lieferkettengesetz beschlossen. "Die Rechte der Menschen zu schützen, die Waren für Deutschland produzieren", sei das Ziel des Gesetzentwurfs über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten. Seither ist das Gesetz nicht wirklich weitergekommen. Auf Seite 5 der Vorhabendokumentation ist für das Datenblatt-Nummer 19/11129 aus dem Arbeitsministerium nun ein ehrgeiziger Zeitplan festgehalten, um den zweiten Durchgang im Bundesrat am 25. Juni zu schaffen.

Wer auf die Abschaffung der Abgeltungssteuer gehofft hatte, die Altersvorsorgepflicht für Selbständige oder die Finanztransaktionssteuer, muss sich vertrösten lassen. Was noch gehen könnte, ist die Absenkung der EEG-Umlage, damit Strom billiger wird. Es liefen Gespräche für einen "Windkraftausbaupfad". Soll heißen, die Koalition rechnet noch schnell aus, wie viele Windräder wo stehen müssten, damit die Emissionen sinken, wenn sie nicht mehr regiert.

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