Süddeutsche Zeitung

Kita-Streiks:Warum die Erzieherinnen nach dem Streik erst am Anfang stehen

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Es ist gut, dass die Streiks zugunsten der Schlichtung ausgesetzt werden. Aber viele Politiker verstehen die Anliegen der Erzieherinnen als ein Problem der Kommunen. Es geht jedoch um die ganze Gesellschaft. Die muss endlich über den Wert sozialer Berufe diskutieren.

Kommentar von Annette Zoch

Immerhin wird bei der Bahn derzeit nicht gestreikt. Womöglich hat auch der Zugfahrplan die Parteien im Tarifstreit um Erzieher und Sozialarbeiter dazu bewogen, am Donnerstag im Morgengrauen einen Schlichter anzurufen.

Um 6.02 Uhr musste Verdi-Chef Frank Bsirske den ICE nach Frankfurt erwischen, wo sich seine Streikdelegierten trafen. Im Idealfall hätte er ein Angebot der Arbeitgeber dabeigehabt. Aber zuletzt sah es so aus, als müsste er - nach monatelangen Verhandlungen und vier Wochen Streik - mit ganz leeren Händen bei seinen Gewerkschaftern auftauchen. So weit lagen die Interessen von kommunalen Arbeitgebern und Arbeitnehmervertretern auseinander.

EIn neuer Streik hätte nichts bewirkt

Verdi, GEW und Deutscher Beamtenbund wussten wohl auch: Am Ende war nicht mehr herauszuholen, ein neuer Streik hätte nichts bewirkt. Im Gegenteil, er hätte die Solidarität der Eltern noch weiter zum Bröckeln gebracht. Die vergangenen vier Wochen haben vielen Eltern das Äußerste an Organisationstalent und Nerven abverlangt.

Die Gewerkschaften haben den Unmut der Eltern dabei durchaus bewusst einkalkuliert - andererseits: Was blieb den Erziehern und Sozialarbeitern auch übrig? Wen haben sie anderes, der sie in ihrem Protest versteht, als die Eltern? Einer Studie der Deutschen Kinderhilfe und der Hochschule Koblenz zufolge fühlen sich Erzieherinnen und Erzieher in ihrem Beruf von einer Mehrheit der Bürger als "Basteltanten" missverstanden. Eltern wissen, dass dieses Vorurteil nicht stimmt.

Wenn Erzieherinnen protestieren, schweigt die Bundespolitik

Kinderbetreuung ist derzeit eigentlich eine Boom-Branche. Die Betreuungsquote von Kindern unter drei Jahren hat sich seit dem Rechtsanspruch für einen Kitaplatz von 17,6 Prozent auf 32,3 Prozent nahezu verdoppelt. Überall sind neue Kindertagesstätten gegründet oder bestehende aufgestockt worden. Öffnungszeiten wurden ausgeweitet, auch die Betreuungsaufgaben sind komplexer geworden.

Das fängt an bei so banalen Dingen wie dem Wickeln und hört auf bei der Sprachförderung. Nur die Bezahlung hat mit dem Boom nicht Schritt gehalten. Und die Erzieher sind ja nur ein Teil eines großen Berufsfeldes. Es geht auch um Sozialarbeiter, Jugendgerichtshelfer, Sozialpädagogen, Mitarbeiter in Jugendämtern, Heilpädagogen.

Arbeitgeber zu einer grundlegenden Aufwertung des Berufs nicht bereit

Die Gewerkschaften haben den Arbeitgebern vorgeworfen, den Streik aussitzen zu wollen. In gewisser Weise stimmt das, schließlich haben sie ihre Vorschläge drei Wochen lang unangetastet herumliegen lassen, bis sie sich zu einem förmlichen Angebot durchringen konnten. Der Weg in die Schlichtung zeigt zudem, dass die Arbeitgeber zu einer grundlegenden Aufwertung des Berufs eben nicht bereit waren.

Andererseits sind auch die Städte und Gemeinden in diesem Konflikt Opfer - von Bund und Ländern nämlich, die immer mehr Aufgaben auf Kommunen abwälzen, auch den Großteil der Kosten für die Kleinkindbetreuung. Aus Berlin oder den Regierungszentralen der Länder kommen regelmäßig wohlfeile Worte von der Bedeutung der frühkindlichen Bildung, oder auch mal der eine oder andere Vorschlag zur Umschulung von Schlecker-Frauen. Aber nicht viel mehr.

Diskussion über Wert sozialer Berufe muss her

Wo bleibt die große bundespolitische Aufregung beim Arbeitskampf in den Kitas? Wenn die Bahn streikt, schlägt der Bundesverband der Deutschen Industrie Alarm, es geht um Millionenschäden, die Kanzlerin, der Wirtschaftsminister schalten sich ein, die Koalition schmiedet flugs ein Gesetz. Wenn Erzieherinnen streiken, bleibt es in der Bundespolitik so still, man könnte eine Bastelschere fallen hören.

Es ist gut, dass beide Tarifpartner jetzt in die Schlichtung gehen, und hoffentlich bald eine Lösung finden. Die gesamtgesellschaftliche Diskussion über den Wert sozialer Berufe und kindlicher Bildung muss dann aber erst beginnen.

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Quelle:
SZ vom 05.06.2015
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