Süddeutsche Zeitung

Kino:Von Film und Fakten

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"Colonia Dignidad - Es gibt kein Zurück" verfilmt die Geschichte der Sekte. Im Kino lässt sich der Schrecken nur erahnen.

Von Peter Burghardt

Selten war der deutsche Horror in Chiles Anden so bequem zu besichtigen. Man sinkt in einen Sessel und schaut zu. "Colonia Dignidad - Es gibt kein Zurück", heißt der Film des Regisseurs Florian Gallenberger, der kürzlich in Berlin Premiere hatte, nun auf der Berlinale gezeigt wird und am 18. Februar in die Kinos kommt. Als bei einer Vorabvorführung in Hamburg das Licht angeht, tritt auch ein blasser Mann aus dem Saal. "Diese Angst kann sich niemand vorstellen", sagt Wolfgang Kneese leise. Er floh einst aus der echten Colonia, kämpft schon mehr als sein halbes Leben um Gerechtigkeit und hat dabei seine Gesundheit ruiniert.

In Gallenbergers Drama befreien sich eine Lufthansa-Stewardess namens Lena (Emma Watson) und ihr Freund Daniel (Daniel Brühl) aus den Fängen des Sektenführers Paul Schäfer. Der Plot ist spannend und phasenweise bewegend, aber in dieser Form natürlich erfunden. Das Schicksal von Wolfgang Kneese ist wahr. Er geriet als Kind in Schäfers Fänge, wurde vom ersten Tag an vergewaltigt und schaffte es 1966 im dritten Versuch nach draußen. "Weißt du, was es für ein Gefühl ist, wenn zehn Dobermänner hinter dir her sind?", fragt Kneese. Erste Genugtuung fand er, als sein Peiniger Schäfer Jahrzehnte später endlich gefasst wurde und im Gefängnis starb.

Der psychopathische Chef missbrauchte hinter Panzerglas

Den wirklichen Schrecken kann die Fiktion nicht bieten. Doch Gallenberger hat gut recherchiert. Er packt die konstruierte Liebesgeschichte in einen historischen Rahmen und auf eine relativ realistische Bühne. Der Thriller beginnt während des Putsches von Augusto Pinochet und führt in die trügerische Idylle dieser Festung zwischen Bergen und Feldern. Die 30 000 Hektar der Colonia waren ein Staat im Staate. Wachtürme, Elektrozäune, Selbstschussfallen, Kampfhunde, Schlägertrupps. Tunnelsystem und Fernmeldeanlagen, Folterkammer und Folterklinik, Waffenarsenal, Geheimarchiv und Folklore.

Die meisten Gebäude stehen noch im heutigen Vergnügungspark Villa Baviera. Auch die Landwirtschaft geht weiter. In dem ehemaligen Camp des Grauens werden Hochzeiten gefeiert und ein Oktoberfest mit Lederhosen, es gibt Eisbein im Restaurant "Zippelhaus" und ein Hotel. "Tanz auf Gräbern", spottet Wolfgang Kneese. Jörg Schnellenkamp, der Gallenberger beriet, gehört noch zu den Siedlern. Gedreht wurden die Szenen der Colonia allerdings in Luxemburg, München und Berlin und die aus Santiago de Chile in Buenos Aires.

Einige Kulissen und Charaktere sind dem Original zumindest recht ähnlich. Im "Freihaus" etwa missbrauchte der Psychopath Schäfer hinter Panzerglas kleine Jungs und empfing außer seinen Opfern auch Politiker und Unternehmer. Im Film spielt Michael Nyqvist den Quälgeist mit dem Glasauge, das gelingt ihm so leidlich. Schäfer war der "Tío Permanente", der Daueronkel. Er war der Herrscher, aber keineswegs der einzige Kriminelle in diesem Komplott, das in Politik, Wirtschaft, Geheimdienste und Armee reicht. Darsteller geben auch den finsteren Diktator Pinochet und seinen Agenten Manuel Contreras. Maschinenpistolen und Sarin-Giftgas aus der Colonia kommen vor und die skandalös komplizenhafte Deutsche Botschaft.

"Für die Opfer der Colonia Dignidad", heißt es im Nachspann. Opfer wie Wolfgang Kneese hätten sich Hinweise darauf gewünscht, dass manche Täter noch frei herumlaufen.

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Quelle:
SZ vom 11.02.2016
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