Süddeutsche Zeitung

Katalonien:Madrid muss endlich auf die Separatisten zugehen

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Politiker werden verhaftet und nun auch noch wegen Rebellion angeklagt. Das gnadenlose Vorgehen der Führung in Madrid ist einer Demokratie nicht würdig und radikalisiert junge Katalanen.

Kommentar von Thomas Urban, Madrid

Vor aller Augen zerfällt die katalanische Unabhängigkeitsbewegung: Die Verfechter der Abspaltung der wirtschaftsstarken Region vom Königreich Spanien haben ihre ohnehin nur hauchdünne Mehrheit im Parlament soeben verloren. Allerdings war ihr Ziel von Anfang an eine Schimäre. Denn die jüngsten Wahlen erbrachten ebenso wie alle Umfragen, dass lediglich knapp 40 Prozent der Bevölkerung Kataloniens die Trennung von Madrid gutheißen.

Völlig naiv, ja wirklichkeitsfremd haben die Separatisten geglaubt, dass sie trotz dieser schwachen Zahlen Unterstützung von Seiten der EU finden würden. Ihre Naivität zeigte sich nicht zuletzt in den kuriosen Äußerungen des Ex-Premiers Carles Puigdemont im belgischen Exil. Die Regierung in Madrid hat dieses politische Leichtgewicht zu einer Art Monster stilisiert. Die Separatisten haben den strategischen Fehler begangen, auf die Konfrontation zwischen Spaniern und Katalanen zu setzen. Doch diese Rechnung ging nicht auf: Fast ein Drittel der Menschen in Katalonien ist aus anderen spanischen Regionen zugewandert, ein weiteres Drittel sieht sich selbst als Spanier und Katalanen. Die Nur-Katalanen hatten also nie eine wirkliche Chance auf eine Mehrheit.

Am Zerfall der separatistischen Front hat der harte Kurs der spanischen Justiz, die personell eng mit der regierenden konservativen Volkspartei (PP) verquickt ist, seinen Anteil. Doch der Versuch, eine demokratische Massenbewegung mit Gefängnisstrafen und ruinösen Geldbußen zu zerschlagen, führte auch zu einer Radikalisierung eines Teils der Katalanen, vor allem der jüngeren. Die Strafverfahren gegen die Aktivisten, von namhaften spanischen Juraprofessoren ohnehin als Rechtsbruch angeprangert, sollten deshalb mit milden Urteilen enden. Das gnadenlose Zuschlagen der Justiz gegen pazifistisch eingestellte, durch freie Wahlen legitimierte Politiker ist einer Demokratie nicht würdig. Ihr stehen andere Mittel zur Verfügung, solche Fälle zu lösen, etwa Bewährungsstrafen unter strengen Auflagen oder der Entzug des passiven Wahlrechts.

Die Gefahr der Unabhängigkeit ist gebannt

Die Konservativen in Madrid und König Felipe VI. sollten sich nun, wo die Gefahr einer katalanischen Unabhängigkeit erst einmal gebannt zu sein scheint, endlich zu versöhnlichen Gesten überwinden - und nebenbei auch zu einer Neuordnung des umstrittenen Finanzausgleichs der Regionen. Wenn auch die Verfechter einer katalanischen Republik gescheitert sind, gab und gibt es doch gute Gründe für das politische Ziel, auf mehr Kompetenzen gegenüber Madrid zu beharren. Die Katalanen fühlen sich zu Recht bei der Zuteilung von Haushaltsmitteln und öffentlichen Investitionen benachteiligt. Spaniens Premier Mariano Rajoy hätte dieses Problem längst lösen müssen, er ist damit auch einer der Hauptschuldigen an der Eskalation des Konflikts.

Das kollektive Gedächtnis der Katalanen ist noch immer von den Repressionen der Franco-Zeit bestimmt. Deshalb sollten Rajoy und nicht zuletzt auch König Felipe, dessen Vater Juan Carlos noch von Franco eingesetzt wurde, sich nun darauf verlegen, auf die Katalanen zuzugehen. Auch Politiker aus anderen EU-Staaten sind gefragt: Sie müssen hinter den Kulissen darauf dringen, dass die Anbahnung gelingt.

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Quelle:
SZ vom 24.03.2018
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