Süddeutsche Zeitung

Proteste:Blutiger Machtkampf in Kasachstan

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Präsident Tokajew lässt auf Demonstranten schießen, mehr als 160 Menschen sollen bisher getötet worden sein. Zum ersten Mal seit Beginn der Auseinandersetzungen meldet sich nun auch der Ex-Präsident zu Wort.

Von Silke Bigalke, München

Bei den Protesten in Kasachstan sind bisher 164 Menschen ums Leben gekommen, darunter zwei Kinder. Das berichteten am Sonntag mehrere russische Staatsmedien unter Berufung auf das kasachische Gesundheitsministerium. Vergangenen Freitag hatte Kasachstans Präsident Kassym-Schomart Tokajew Armee und Polizei dazu aufgerufen, ohne Vorwarnung auf Protestierende zu schießen, sollte es zu weiteren Unruhen kommen. Vor Tokajews Schießbefehl war noch von insgesamt 44 toten Demonstrierenden und Polizisten die Rede gewesen. Die meisten Menschen starben in der Millionenstadt Almaty.

Die Proteste waren vor etwa einer Woche im Westen des zentralasiatischen Landes ausgebrochen und später in mehreren Städten in Gewalt umgeschlagen. Tokajew rief daraufhin die von Russland angeführte Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (ODKB) um Hilfe. Das Verteidigungsbündnis, zu dem auch Armenien, Belarus, Kirgisistan und Tadschikistan gehören, sandte ihm etwa 2500 Soldaten.

Am Montag ist zudem eine Videokonferenz der Bündnispartner zur Lage in Kasachstan geplant. Diese haben die kasachischen Behörden inzwischen mit Hilfe russischer Truppen wieder weitgehend unter Kontrolle gebracht und dabei bisher knapp 6000 Menschen festgenommen. Es würden weiterhin Maßnahmen ergriffen, hieß es am Sonntag in einer Mitteilung des Präsidenten, "um Terroristen ausfindig zu machen und festzunehmen". Tokajew hatte die Protestteilnehmer schon früh als im Ausland ausgebildete "Terroristen" und "Banditen" bezeichnet.

Zum ersten Mal in dieser Krise meldete sich am Wochenende auch der Pressesprecher des früheren Präsidenten Nursultan Nasarbajew zu Wort. Nasarbajew hat das Land 29 Jahre lang regiert und galt auch nach seinem Rücktritt 2019 als inoffizieller Machthaber. Der 81-Jährige befinde sich weiterhin in der nach ihm benannten kasachischen Hauptstadt Nur-Sultan, sagte sein Sprecher nun der Nachrichtenagentur Interfax zufolge. Zuvor hatte es Spekulationen gegeben, ob Nasarbajew, der sich seit Tagen nicht sehen lässt, das Land verlassen habe. Der frühere Präsident stehe auf derselben Seite wie sein Nachfolger Tokajew, betonte der Sprecher nun.

Tokajew hatte vergangene Woche nicht nur die gesamte Regierung entlassen und Nasarbajew als Chef des wichtigen Sicherheitsrates abgelöst. Er hat auch die Führungsriege des kasachischen Geheimdienstes KNB entlassen, ließ dessen bisherigen Chef Karim Massimow am Samstag wegen Hochverrats festnehmen. All das deutete auf einen Machtkampf innerhalb der Führungselite hin, in dem sich Tokajew offenbar durchgesetzt hat.

Die Frage, wer innerhalb des Machtapparats versuche, die Proteste für sich auszunutzen, kam schon bald nach deren Ausbruch auf. Denn während die Mehrheit der Menschen friedlich gegen das autoritäre Regime demonstrierte, sorgten gewaltbereite Gruppen parallel dafür, dass die Lage eskalierte. Sie zündeten Gebäude an, lieferten sich Feuergefechte mit den Sicherheitskräften. Ob sie dabei angeleitet wurden und von wem, ist bisher unklar. Tokajew ordnete für Montag Staatstrauer für die Getöteten an.

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