Süddeutsche Zeitung

Katholische Kirche:"Ich bin erschüttert und beschämt"

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Kardinal Marx hat am Morgen an der Vorstellung des Missbrauchsgutachtens nicht teilgenommen. Er wird darin selbst belastet. Nun entschuldigt er sich erneut bei allen Opfern sexueller Gewalt.

Der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, hat Stellung zu dem an diesem Morgen vorgestellten Gutachten zum Umgang mit sexuellem Missbrauch in der Erzdiözese genommen.

In seinem knapp fünfminütigen Statement räumte Marx für sich selbst eine moralische Verantwortung ein. Dass es in der Katholischen Kirche über Jahre und Jahrzehnte hinweg ein "Wegsehen von Verantwortlichen" gegeben habe, was die Missbrauchsfälle angehe, das wisse man seit Jahren, so Marx. Im Jahr 2010 sei mit der Aufarbeitung begonnen worden. Damit sei man noch lange nicht am Ende, dieser Prozess werde weitergehen.

Für ihn, so Marx, hätten die Begegnungen mit den Opfern sexuellen Missbrauchs eine "Wende bewirkt. Sie haben meine Wahrnehmung der Kirche verändert und verändern diese auch weiterhin". Er bitte "deshalb im Namen der Erzdiözese um Entschuldigung für das Leid, das Menschen im Raum der Kirche in den vergangenen Jahrzehnten zugefügt wurde". Als Erzbischof fühle er sich mitverantwortlich für das, was in den vergangenen Jahrzehnten in der Kirche gesehen sei. "Ich bin erschüttert und beschämt", sagte Marx.

Das Gutachten, das die Münchner Rechtsanwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) am Donnerstagvormittag vorgestellt hat, führt im Zusammenhang mit den Missbrauchsfällen die Versäumnisse im Erzbistum München und Freising detailliert auf. Insbesondere belastet es den emeritierten Papst Benedikt XVI. schwer. In seiner Zeit als Erzbischof in München in den Jahren von 1977 bis 1982 habe sich der damalige Kardinal Joseph Ratzinger in vier Fällen fehlerhaft verhalten. Zudem soll er zur Frage seiner Verantwortung in einem besonders gravierenden Fall möglicherweise falsche Angaben gemacht haben. Seine Darstellung werteten die Gutachter als "wenig glaubwürdig".

Auch der aktuelle Erzbischof Marx hat dem im Auftrag der Erzdiözese erstellten Gutachten zufolge in zwei Missbrauchsfällen Fehlverhalten gezeigt. Marx war ausdrücklich zu der Präsentation des Gutachtens eingeladen worden, hat ein Erscheinen aber den Anwälten zufolge abgelehnt. Die Gutachter kritisierten dies. "Wir bedauern sein Fernbleiben außerordentlich", sagte Marion Westpfahl.

In dem Gutachten sind Missbrauchsfälle von 1945 bis 2019 untersucht worden, und es gibt Hinweise auf mindestens 497 Betroffene sexualisierter Gewalt. Nach Angaben der Gutachter waren 247 Opfer männlich, 182 Opfer weiblich, in 68 Fällen sei eine Zuordnung nicht möglich gewesen, sagte Rechtsanwalt Martin Pusch, einer der Autoren des Gutachtens. 60 Prozent der betroffenen Jungen waren zwischen acht und 14 Jahre alt. Pusch betonte, die Zahlen deckten nur das Hellfeld ab. Die Kanzlei gehe von einem weitaus größeren Dunkelfeld aus.

Marx sagte, das Gutachten sei ein wichtiger Baustein bei der Aufarbeitung. Die Erzdiözese werde sich darüber hinaus auch künftig mit dem Betroffenenbeirat und der unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung der Missbrauchsfälle austauschen. Es gehe einerseits um die Aufarbeitung der Fälle, aber auch darum, die Kirche zu erneuern und zu reformieren. "Die Missbrauchskrise ist und bleibt eine tiefe Erschütterung für die Kirche", sagt Marx.

Fragen der Journalistinnen und Journalisten waren bei dem Statement von Marx nicht zugelassen. Zunächst müsse man nun das Gutachten gründlich studieren. Am kommenden Donnerstag wird es eine weitere Pressekonferenz geben, auf der Marx dann detaillierter Stellung nehmen werde.

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