Süddeutsche Zeitung

Kanada:Darling muss kämpfen

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In Kanada beginnt der Wahlkampf. Doch Premier Trudeau hat durch einen Skandal viel Glanz verloren.

Von Frank Nienhuysen, München

Justin Trudeau schwebt offenbar eine ewige Regierung vor, denn nach immerhin vier Jahren als kanadischer Premier sagte er, "wir haben gerade erst angefangen". Vielleicht aber muss er bald schon wieder aufhören, denn laut Umfragen kann der am Mittwoch begonnene Wahlkampf durchaus mit seiner Abwahl enden. Fünf Wochen vor der Parlamentsabstimmung am 21. Oktober liegt Kanadas liberaler Regierungschef nur etwa gleichauf mit seinem konservativen Herausforderer Andrew Scheer. Vor vier Jahren hatte Trudeau noch als politischer Darling triumphiert und das Land nach mehreren konservativen Regierungszeiten seitdem in eine liberale, tolerante, einwanderungsfreundliche Zeit geführt, in der auch noch die Wirtschaft gewachsen ist. Doch die Frage ist nun: Wie tolerant sind die Kanadier gegenüber dem Premier? Mehrere Skandale haben seinen Glanz getrübt; Trudeau muss kämpfen wie noch nie.

Vor drei Wochen hat die Ethik-Kommission dem Regierungschef vorgeworfen, in einer Korruptionsaffäre um das kanadische Unternehmen SNC-Lavalin "verschiedene Mittel" eingesetzt zu haben, um die Arbeit der früheren Justizministerin zu beeinflussen, um Ermittlungen "zu umgehen, zu untergraben" und die Autorität der Ministerin "zu diskreditieren". Der Baukonzern soll zwischen 2001 und 2011 für Aufträge in Libyen etwa 30 Millionen Euro Bestechungsgeld an das Gaddafi-Regime gezahlt haben, und Trudeau wollte verhindern, dass das Unternehmen dafür strafrechtlich verurteilt wird. Er setzte sich mit seiner Macht für einen Deal ein. Denn ein Urteil hätte bedeutet, dass Lavalin zehn Jahre lang von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen wäre. Trudeau wusste natürlich, was das bedeuten würde: den Verlust von Jobs in seiner Heimatprovinz Quebec, wo das Unternehmen zu den wichtigsten Arbeitgebern gehört. "Diese Firma ist Teil von Quebecs Mythologie", schrieb die kanadische Zeitung La Presse, und das dachte sich wohl auch der Premier.

Einen korrupten Baukonzern zu schonen, kostete ein paar Minister und viele Sympathien

Trudeau übernahm jetzt die "volle Verantwortung", und auch wenn er sagt, es sei ihm um den Erhalt von Arbeitsplätzen gegangen, gab er zu: "Was im vergangenen Jahr passiert ist, hätte nicht geschehen dürfen." Der Sog dieser Affäre wirkt nun schon das gesamte Jahr über. Erst degradierte der Premier die Justizministerin Jody Wilson-Raybould zur Veteranenministerin, dann trat sie ebenso zurück wie die solidarische Ministerin für Digitales, Jane Philpott, und sein engster Berater Gerald Butts. Und so purzelten die Beliebtheitswerte beträchtlich. Trudeau, der als Sohn des berühmten früheren Premiers Pierre Trudeau in das politische Milieu Kanadas hineingeboren wurde, als Kind Kohl, Schmidt, Reagan, Thatcher, Castro traf, hatte zu Amtsbeginn eine neue politische Moral verkörpert. Daran wird er nun gemessen.

Viele seiner Anhänger nehmen ihm seine pragmatische Nähe zu Wirtschaftsunternehmen übel, kritisieren, dass er sich für Umweltschutz einsetzt und zugleich Ölpipelines genehmigt. Und sie erinnern sich auch an den ersten Trudeau-Skandal, als er 2017 auf einer privaten Bahamas-Insel von Aga Khan urlaubte, einem "Freund der Familie", wie der Regierungschef versicherte. All dies macht sich schlecht bei einem Teil der links-liberalen Wählerschaft, die sich Umfragen zufolge nun verstärkt den kanadischen Grünen und den Sozialdemokraten zuwendet.

Trudeaus Rivale Scheer warnt, dass sich das Land vier weitere Trudeau-Jahre "nicht leisten kann". Scheer, 40, einst jüngster Parlamentssprecher der kanadischen Geschichte, spricht von "Chaos" und dem Verlust der moralischen Autorität Trudeaus. Doch der scheint sich im Wahlkampf weniger gegen seinen jetzigen Widersacher zu stellen als grundsätzlich mit den Konservativen abzurechnen, die ihm 2015 ein Land übergeben hätten, "das wirtschaftlich am Boden lag". Trudeau wirbt nun mit seiner steuerlichen Belastung der Spitzenverdiener und der Entlastung der Mittelschicht. "Kanada hat die Wahl", sagt er trotzig, "zurück zur Austeritätspolitik oder sich weiter vorwärts bewegen."

Immerhin, Trudeau muss seit Jahren eine komplizierte Nachbarschaft pflegen, seitdem in den USA Präsident Donald Trump ihm das Leben schwermacht. Das Freihandelsabkommen Nafta, für das Exportland Kanada eine Überlebensgarantie, von Trump aber lange beschossen, wurde mit wenigen Änderungen wiederaufgelegt und brachte Trudeau viel Respekt ein. Im Wahlkampf dürfte er noch oft daran erinnern.

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SZ vom 13.09.2019
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