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Kampf gegen die Staatsverschuldung:Das Zehn-Milliarden-Ziel

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Spätestens von 2011 an muss Finanzminister Schäuble strikt sparen - oder mehr Geld einnehmen. Ein hoher Regierungsbeamter sagt "massive Verteilungskonflikte" voraus.

Claus Hulverscheidt, Berlin

Die Bundesregierung muss ihre jährlichen Ausgaben bis 2016 um bis zu 70 Milliarden Euro reduzieren oder die Einnahmen entsprechend erhöhen. Das ergibt sich aus dem Haushaltsentwurf für 2010, den das Kabinett am Mittwoch beschließen will. Er sieht für kommendes Jahr ein um Konjunktureinflüsse bereinigtes Defizit von 70 Milliarden Euro vor, das binnen sechs Jahren um 60 Milliarden Euro verringert werden muss.

Hinzu kommt das für 2011 geplante zweite Steuersenkungspaket, das - sollte es in vollem Umfang umgesetzt werden - den Bundeshaushalt noch einmal mit mindestens zehn Milliarden Euro pro Jahr belasten wird. Gelingt der Defizitabbau nicht, würde der Bund gegen die neue Verschuldungsgrenze des Grundgesetzes und den EU-Stabilitätspakt verstoßen.

Im Jahr 2010 will Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ausweislich seines Etatentwurfs noch ein letztes Mal auf Einsparungen verzichten, um den wirtschaftlichen Aufschwung nicht zu torpedieren. Deshalb steigt die Nettokreditaufnahme im Vergleich zum laufenden Jahr unbereinigt von 37,5 auf 85,8 Milliarden Euro. Das ist mehr als doppelt so viel wie der bisherige Schuldenrekord Theo Waigels (CSU) aus dem Jahr 1996.

Schuld daran sind vor allem Steuermindereinnahmen in Höhe von 43,5 Milliarden, Mehrausgaben für den Arbeitsmarkt von 23,3 Milliarden sowie ein zusätzlicher Steuerzuschuss an die gesetzliche Krankenversicherung von 10,2 Milliarden Euro. Die ursprüngliche Idee, die beiden letzten Posten in einen Schattenhaushalt auszulagern, gab die Koalition wegen vielfältiger Proteste nun endgültig auf.

Immer wieder neu sparen

Mit Gesamtausgaben von 325,4 Milliarden Euro wächst das Haushaltsvolumen im Vergleich zu 2009 um gut sieben Prozent. Nur 28,7 Milliarden Euro davon sind Investitionen. Größter Einzelposten bleibt der Sozialetat, dessen Anteil am Gesamtbudget weiter zunimmt.

Im laufenden Jahr wird der Bund voraussichtlich mit Ausgaben von 294,5 Milliarden und einer Neuverschuldung von 37,5 Milliarden Euro auskommen. Das sind neun beziehungsweise knapp zwölf Milliarden Euro weniger als vor wenigen Monaten befürchtet. In Regierungskreisen hieß es, die wirtschaftliche Lage sei "nicht ganz so schlimm wie erwartet, aber noch schlimm genug".

Wie das konjunkturbereinigte Defizit bis 2016 von jetzt 70 auf zehn Milliarden Euro reduziert werden soll, geht aus den Unterlagen nicht hervor. Aus Regierungskreisen verlautete, die schwarz-gelbe Koalition wolle die Steuerschätzung im Mai kommenden Jahres abwarten, um exakter beurteilen zu können, wie sich die finanzielle Lage darstellt.

Laut Grundgesetz gilt von 2016 an für das strukturelle Defizit im Bundeshaushalt ein Grenzwert von 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung. Das entspricht der Summe von gut zehn Milliarden Euro. Von 2011 an bis zum Inkrafttreten des Grenzwerts muss der Bund den Fehlbetrag in etwa gleich großen Schritten reduzieren, was bedeutet, dass die Regierung nach dauerhaften Einsparmöglichkeiten in einer Größenordnung von ebenfalls zehn Milliarden Euro suchen muss - und zwar jedes Jahr aufs Neue. Das wird kaum gehen, ohne die großen Ausgabenblöcke im Sozialbereich anzutasten oder Steuern und Abgaben zu erhöhen.

Die wirtschaftliche Entwicklung wird der Koalition entgegen vielen anderslautenden Aussagen vor allem aus der FDP kaum helfen, denn rein konjunkturell bedingte Steuermehreinnahmen werden bei der Ermittlung des strukturellen Defizits nicht berücksichtigt.

Erst wenn sich ein Aufschwung als so nachhaltig erweist, dass die langfristige Leistungsfähigkeit der Wirtschaft, das sogenannte Wachstumspotential, steigt, wird ein Teil der Steuermehreinnahmen als strukturell eingestuft. Das kann aber Jahre dauern. Ein hoher Regierungsbeamter sagt deshalb für die Zeit ab 2011 "massive Verteilungskonflikte" voraus.

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SZ vom 14.12.2009
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