Süddeutsche Zeitung

Jugend und NS-Verbrechen:Mischung aus Angst und Faszination

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Junge Menschen interessieren sich einer Studie zufolge stärker für die NS-Zeit als die Generation ihrer Eltern. Sich mit den Verbrechen zu beschäftigten, habe den Charakter einer Mutprobe.

Anziehend und abschreckend zugleich, unheimlich und absolut extrem - so nimmt die Jugend einer Studie zufolge die NS-Zeit wahr. 16- bis 25-Jährige interessieren sich demnach stärker für den Nationalsozialismus als die Generation ihrer Eltern. Das Verhältnis liege bei etwa 75 zu 66 Prozent. Die "Generation Z" verbinde ihr Interesse mit aktuellen gesellschaftlichen Problemen wie Rassismus und Diskriminierung, wie es in der am Dienstag vorgestellten Studie heißt. Die "Monstrosität der NS-Verbrechen" löse eine Mischung aus Angst und Faszination aus. Die Konfrontation habe psychologisch den Charakter einer Mutprobe, bei der die "Gen Z" ohne "verordnete Moral" auch den Motiven der Täter nachspüren wolle.

Das sind zentrale Ergebnisse der Untersuchung des Rheingold Instituts mit Sitz in Köln im Auftrag der Arolsen Archives. Die repräsentative Studie trägt den Titel "Die Gen Z und die NS-Geschichte: hohe Sensibilität und unheimliche Faszination". Die Arolsen Archives verfügen über das weltweit umfassendste Archiv zu Opfern und Überlebenden des Nationalsozialismus.

Für einen qualitativ-tiefenpsychologischen Teil wurden den Angaben zufolge insgesamt 100 Menschen zwischen 16 und 25 Jahren sowie zwischen 40 und 60 Jahren befragt. Es gab Interviews und Gruppendiskussionen. In einer quantitativen Erhebung waren es 1058 Jugendliche und Erwachsene. Das hohe Interesse der "Gen Z" erklärt sich laut Studie auch durch "ihre besondere Lebenssituation in einer komplexen Welt mit einer multioptionalen Bereitstellungskultur". Die Auseinandersetzung sei für Jugendliche eine Grenzerfahrung. Dabei wollten sie sich in die Opferrolle hineinversetzen und Ungerechtigkeiten nachempfinden, aber auch das Böse und die Täterperspektive erkunden (54 Prozent). "Die jungen Menschen wollen selbst die Moral der Geschichte erkennen", so Institutsgründer Stephan Grünewald.

Insgesamt zeige sich, dass der Bezug zur Gegenwart eine sehr hohe Bedeutung für die Befragten habe. "Befreit von dem Gefühl persönlicher Schuld, bauen sich die jungen Leute eine Brücke zum eigenen Alltag und versuchen ihre eigene Lebenswelt in der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit besser zu verstehen."

"Ich nehme in den Ergebnissen der Studie bei den Jugendlichen eine große Offenheit, Neugier und Freiheit im Denken wahr", so die Direktorin der Arolsen Archives, Floriane Azoulay. Heute erlebe diese Generation, dass Demokratien in Gefahr geraten könnten. "Ich finde es sehr gut nachvollziehbar, dass Erinnerung für sie mit dem Blick in ihre eigene Lebenswelt verbunden ist, in der populistische, autoritäre und intolerante Stimmen immer lauter zu hören sind."

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