Süddeutsche Zeitung

Krieg:Jemen wird zu Saudi-Arabiens Albtraum

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Die Huthi bedrohen den Handel auf dem Roten Meer und stehen vor einem Sieg in der Schlacht von Marib. Es droht eine humanitäre Katastrophe.

Von Thore Schröder, Beirut

Für die Huthi ergab sich am 2. Januar einmal mehr die Gelegenheit, ihre Macht in Jemen zu demonstrieren. Kommandoeinheiten der schiitischen Bewegung, deren offizieller Titel Ansar Allah - Unterstützer Gottes - lautet, brachten die Rwabi in ihre Gewalt. Das unter Flagge der Vereinigten Arabischen Emirate fahrende Schiff habe Kriegsgerät transportiert, erklärte ihr Sprecher und zeigte Fotos, die Militärlastwagen und anderes schweres Gerät auf der Ladefläche der Barke zeigen. Ein Sprecher der von Saudi-Arabien angeführten Kriegskoalition sprach dagegen von "humanitärer" Fracht für Krankenhäuser. Er forderte die Huthi auf, das Schiff freizugeben, sonst werde man die von den Feinden gehaltenen Häfen als "legitime militärische Ziele" betrachten. Als Reaktion hinderten die Saudis bereits fünf Treibstoffschiffe daran, den Hafen von Hodeidah anzulaufen. Ein Sprecher des US-Außenministeriums warnte nach dem Kapern der Rwabi, dass derlei Aktionen "internationalen Handel und regionale Sicherheit gefährden".

Weder ist das Schiff sonderlich groß, noch scheint die Fracht übermäßig kostbar zu sein, doch die Inbesitznahme hat Signalwirkung, zeigt sie doch, dass die Huthi jederzeit in der Lage sind, den Handel auf einer der wichtigsten Schifffahrtsrouten der Welt zu stören und damit besonders Saudi-Arabien empfindlich zu treffen. Über das Bab al-Mandab ("Tor der Tränen") und die nördlich davon gelegene Wasserstraße zwischen Asien und Afrika wird rund vier Prozent des globalen Öltransports abgewickelt. Bisher war man bereits davon ausgegangen, dass die Huthi hier Schiffe mit Sprengladungen treffen können, sagt Jemen-Experte Peter Salisbury von der International Crisis Group: "Nun zeigen sie, dass sie noch zu ganz anderem fähig sind."

Die Huthi herrschen über rund 20 der 27 Millionen Jemeniten

Die Aufstandsbewegung demonstriert ihre Macht am Roten Meer, während sie im Landesinnern immer größere Geländegewinne erzielt. Nicht wenige Beobachter gehen davon aus, dass ihr Sieg in der Schlacht von Marib, 120 Kilometer östlich der Hauptstadt Sanaa, mittelbar bevorsteht. Nur noch eine einzige Gebirgsformation liegt zwischen der Frontlinie und der strategisch wichtigen Stadt.

Um sich eine wirtschaftliche Basis für einen eigenständig überlebensfähigen Staat zu sichern, benötigen die Huthi den Hafen von Hodeidah ebenso wie die Öl- und Gasfelder von Marib. Die Islamisten, auf deren Bannern die Losung "Gott ist groß, Tod den USA, Tod Israel, Verdammnis den Juden, Sieg dem Islam" steht, herrschen bereits jetzt über rund 20 der 27 Millionen Jemeniten.

Zu Beginn des Bürgerkriegs vor sieben Jahren konnten sie weite Teile des Militärs übernehmen, das Ex-Präsident Ali Abdullah Saleh in das Zweckbündnis eingebracht hatte - bevor er von ihnen ermordet wurde. Eine von Saudi-Arabien angeführte Koalition hatte seit dem Frühjahr 2015 vor allem durch schwere Luftangriffe versucht, den Widerstand der Huthi zu brechen, um Abed Rabbo Mansur Hadi, den geflohenen Nachfolger Salehs, zurück an die Macht zu bringen. Die hohen zivilen Opfer der oftmals plan- und rücksichtslos ausgeführten Bombardements führten stattdessen dazu, dass im Land der Zuspruch für die Huthi wuchs - und das Verhältnis Riads zu Washington Schaden nahm. Die vom Iran und der libanesischen Hisbollah-Miliz unterstützten schiitischen Milizionäre haben es derweil immer wieder vermocht, Abkommen mit sunnitischen Stämmen auszuhandeln.

Im bald achten Kriegsjahr ist der Konflikt extrem unübersichtlich geworden

In Marib aber leisten Stammesverbände, unterstützt von massiven saudischen Luftschlägen, bisher noch entscheidenden Widerstand und schützen so auch rund eine Million dort festsitzende Binnenvertriebene. Die Österreicherin Christa Rottensteiner, Missionsleiterin der UN-Behörde International Organization for Migration (IOM), berichtet von den Zuständen vor Ort: "Allein seit September sind über 60 000 Menschen dazugekommen. Die Vertriebenen hausen in mehr als 130 Lagern in Marib und Umgebung. Die meisten haben auch jetzt im Winter nicht mehr als ein paar Planen als Behausung. Es fehlt an Lebensmitteln, medizinischer Versorgung und Wasser - mitten in der Pandemie." Bei einem Durchbruch der Huthi müsse man davon ausgehen, dass Zehntausende oder sogar Hunderttausende Menschen in die offene Wüste fliehen. "Zuletzt sind bereits mehrmals Geschosse in den Camps eingeschlagen", so Rottensteiner.

Auch mit einem Sieg der Huthi in Marib wäre der Konflikt nicht beendet. "Damit würde der Krieg lediglich in eine neue Phase eintreten", sagt Peter Salisbury, "auch würde sich international die Beurteilung ändern." Dann hätten die Huthi ihre Macht im Norden so weit gesichert, dass eine Lösung ohne sie nicht mehr möglich sein dürfte. Auch eine Wiedervereinigung des Staatsgebiets dürfte dann in weite Ferne rücken.

Im bald achten Kriegsjahr ist der Konflikt extrem unübersichtlich geworden. Schon lange kämpfen im ärmsten Staat der arabischen Welt - zwei Drittel der Bevölkerung sind auf Hilfslieferungen angewiesen - nicht nur die Huthi gegen die von den Saudis unterstützten Kräfte. Letztere bekriegen sich unter anderem auch mit dem von den VAE unterstützten Südübergangsrat. Tarek Saleh, der Neffe des Ex-Präsidenten, kommandiert seine eigenen Truppen. Dschihadistische Gruppen von al-Qaida und dem IS verursachen zusätzliche Instabilität und Terrorgefahr - auch jenseits der Landesgrenzen.

Ohne die Saudis, die sechs Milliarden Dollar pro Monat für den Krieg aufbringen, bräche die Anti-Huthi-Koalition vollends auseinander. Das Land wäre dann den Warlords überlassen, die Versorgung der Zivilbevölkerung kaum mehr möglich. Für Riad gibt es aber auch schon aus Eigeninteresse so schnell kein Entkommen ohne eine Friedens- oder zumindest eine langfristige Waffenstillstandsregelung. Saudi-Arabien und Jemen haben eine mehr als 1300 Kilometer lange gemeinsame Grenze. Die Huthi verfügen über ein Arsenal von modernen Drohnen und Raketen, mit denen sie saudische Infrastruktur und Bevölkerungszentren bedrohen. Nicht zuletzt haben sie am Roten Meer eine entscheidende Erpressungsmacht, die sie jederzeit ausspielen können.

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