Süddeutsche Zeitung

Japan:Schimmel und andere Mängel

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Premier Abe brachte dem Land Stabilität, doch sein Umgang mit der Corona-Krise könnte ihn das Amt kosten.

Von Thomas Hahn, Tokio

Manche Worte sind wie Feinde für den japanischen Premierminister Shinzo Abe. Er bringt sie einfach nicht richtig heraus bei seinen hastigen Reden. Er müsste sie eigentlich per Gesetz verbieten oder dürfte sie zumindest nicht mehr verwenden. Aber selbst Letzteres geht eben nicht immer. Am Montagabend zum Beispiel, als Abe Japans Coronavirus-Notstand im Live-Fernsehen offiziell für beendet erklärte, brauchte er dringend das Wort "torimodosu", "zurückgewinnen", das er verlässlich falsch ausspricht, mit r statt mit d: "Torimorosu!" - "Es ist ein Beginn, den neuen Alltag der Corona-Ära wiederzugewinnen", sagte Abe. Immer wieder beharrte er darauf, dass man jetzt etwas zurückgewinnen müsse durch das Bekenntnis zu einer neuen Normalität. In den sozialen Netzwerken amüsierten sich seine Zuhörer: Torimorosu! Torimorosu! Lustig.

Shinzo Abe, 65, kann so etwas verkraften. Im Weghören ist er immer schon gut gewesen. Die Frage ist allerdings, ob er auch mitbekommt, dass die Kritik an seiner Amtsführung in der Pandemie längst über Online-Getuschel hinausgeht. Manche fragen sich schon, ob er seine Amtszeit überhaupt zu Ende bringen wird, die offiziell noch bis September 2021 dauert.

Zeit seiner langen Karriere als erster Mann im Staate ist Abe ein ständiges Objekt für Parodisten gewesen. Seine etwas tapsige Art und verwaschene Sprache haben den Machtmenschen Abe für manche vielleicht sogar sympathischer gemacht. Und solange sein Wirtschaftsprogramm "Abenomics" zu stetigem Wachstum führte, musste ihn das auch nicht stören. Abe ist seit 2012 Premierminister und er kann für sich beanspruchen, Japan eine neue Stabilität gebracht zu haben. Deshalb wurde er immer wieder gewählt. Skandale und Kritik an seiner rechtskonservativen Politik konnte er mithilfe seiner Freunde in Partei und Gesellschaft aussitzen.

Es kursieren bereits die Namen möglicher Nachfolger - einige hatte Abe selbst ins Spiel gebracht

Aber jetzt ist etwas anders. Laut Umfragen der Zeitungen Asahi Shimbun und Mainichi Shimbun liegen Abes Zustimmungswerte nur noch bei rund 29 Prozent. In Japan glaubt man sehr an Zahlen. Es liegt nahe, dass die Königsmacher in der LDP überlegen, ob sie nicht endlich mal einen neuen Chef brauchen.

Das undurchsichtige Coronavirus-Management der japanischen Regierung verunsichert die Menschen im Land seit Monaten. Die Zahl der Neuinfektionen ist nach sieben Wochen des Notstands mit Aufrufen zum Daheimbleiben, Abstandhalten und Maskentragen zwar wieder sehr niedrig. Es sterben weiterhin wenige Japaner an der Lungenkrankheit Covid-19. Aber wie verbreitet das Coronavirus wirklich ist, weiß keiner, weil Japans Regierung weiterhin nur relativ wenig testen lässt. Immer wieder wird berichtet, dass Menschen keinen Test auf das Coronavirus bekommen, weil es dafür von den Gesundheitsbehörden keine Genehmigung gibt. Diverse freie Experten haben immer wieder darauf hingewiesen, dass man so die meisten Fälle ohne oder mit nur milden Symptomen verpasst. Außerdem zögerte Abe noch mit der Notstandserklärung, als die Fallzahlen schon stark stiegen und manche Präfektur-Regierungen Druck machten.

Die Unzufriedenheit mit der Virus-Politik hat die Menschen wohl auch sensibler für andere Skandale gemacht. Etwa für die Angelegenheit um den Staatsanwalt Hiromu Kurokawa, der ein Freund von Abe sein soll. Abe wollte das Rentenalter heraufsetzen, damit Kurokawa länger im Staatsdienst bleiben konnte - typische Abe-Vetternwirtschaft, seufzten seine Kritiker. Vergangene Woche trat Kurokawa dann zurück, nachdem eine Zeitschrift enthüllt hatte, dass er trotz Abstandsregeln mit anderen um Geld Mah-jongg gespielt hatte.

Dazu kamen teure, wenn auch gut gemeinte Fehlgriffe wie der staatliche Maskenversand an alle japanischen Haushalte. Zehntausende schlecht sitzender Stoffmasken wurden zurückgerufen, weil sie Schimmel und andere Mängel aufwiesen. Die "Abenomask" ist zum Symbol eines Krisenmanagements geworden, bei dem politischer Aktionismus wissenschaftliche Vernunft aussticht. Zwischendurch wurde First Lady Akie Abe dabei erwischt, wie sie bei einer Gruppenreise genau gegen jene Regeln zur Covid-19-Vorbeugung verstieß, die ihr Gatte zuvor angemahnt hatte. Abe selbst warb derart steif für das Daheimbleiben, dass man ihm Tatenlosigkeit vorwarf.

Abe, so heißt es, hatte mal den Plan, nach erfolgreich inszenierten Olympischen und Paralymischen Spielen 2020 in Tokio Neuwahlen auszurufen, um die gute Stimmung für eine Fortsetzung seiner Amtszeit zu nutzen. Mittlerweile sind die Spiele auf 2021 verlegt und sein Umfragetief scheint kaum mehr wettzumachen zu sein. Er versucht es mit historisch teuren Hilfspaketen gegen die Rezession, auf die Japan schon vor der Pandemie zuschlitterte. Trotzdem kursieren längst die Namen möglicher Nachfolger. Vier hatte Abe Ende Dezember selbst benannt, darunter Ex-Außenminister Fumio Kishida und Gesundheitsminister Katsunobu Kato.

Abe-Kritiker sähen lieber den früheren Verteidigungsminister Shigeru Ishiba an der LDP-Spitze, weil der selbst immer wieder dem Premierminister widerspricht. Es heißt, in der LDP habe er nicht genügend Verbündete. Aber Ishiba wittert offenbar eine Chance. "Post-Abe-Leute, zu denen auch ich zähle, sind gebeten worden, neue Strategien zu machen", sagte er neulich bei einer Pressekonferenz und lächelte. Es scheint ihm zu gefallen, dass Shinzo Abe gerade schwach ist.

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Quelle:
SZ vom 27.05.2020
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