Süddeutsche Zeitung

Italien:Trampolin für den Norden

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Von den Bootsflüchtlingen, die in Italien landen, wollen die meisten weiterziehen. Viele können es aber nicht, weil ihnen das Geld fehlt - und so müssen sie unter oft erbärmlichen Umständen schuften.

Von Oliver Meiler

In der Basilika San Nicola von Bari in Süditalien gab es diese Woche eine ungewohnte, außerliturgische Einlage. Dutzende Migranten aus Afrika besetzten die Kirche, hielten Protestplakate hoch, sie wollten mit dem Erzbischof der Stadt reden, mit Monsignore Francesco Cacucci. Der kam, umschwirrt von Medienleuten. Er redete den Männern gut zu, versprach ihnen die Solidarität der Kirche, dann war die symbolische Aktion bald wieder vorbei.

Die Spontanbesetzer der Basilika waren sogenannte Braccianti, Feldarbeiter. Sie rackern sich die Rücken krumm auf den apulischen Gemüseäckern, ohne Vertrag, ohne ärztliche Versorgung, ohne Versicherung. Für ein paar Euro am Tag. Für ihre Unterkünfte in Ghettos ohne Wasser und Strom bezahlen sie auch noch Miete an die lokalen Clans der Unterwelt. Der Staat schaut weg, dabei wären die Supermärkte ohne Braccianti halb leer. Alle bisherigen Proteste brachten nichts. Da blieb wohl nur die Hoffnung auf Gott.

Für viele Menschen, die über das zentrale Mittelmeer kommen, sind diese Felder, die es in allen Regionen des Südens gibt, die einzige Chance auf einen kleinen Verdienst. Legale Möglichkeiten, um in Italien zu arbeiten, haben sie nicht. Es bräuchte dafür eine Aufenthaltsbewilligung, etwa aus humanitären Gründen. Doch solche gibt es immer seltener, seitdem die rechte Lega in Rom mitregiert.

Italien ist ohnehin nur für vergleichsweise wenige Migranten das Wunschziel. Die meisten Bootsflüchtlinge wollen weiter, sie wussten das schon vor der Reise. Italien ist ein Trampolin für den Norden, vor allem für den Sprung nach Deutschland, nach Frankreich oder auch Schweden. Von den Menschen, die während der Jahre des großen Stroms über das Mittelmeer in Italien angekommen sind, also zwischen 2013 und 2017, als Hunderttausende übersetzten, sind weit mehr als die Hälfte weitergezogen.

Mittlerweile hat sich in den Herkunftsländern der Migranten herumgesprochen, dass in Italien die Arbeitsbedingungen schlecht sind, dass es kaum Jobs gibt, weil das Land noch immer an den Nachwehen der langen Wirtschaftskrise leidet. Die Sprache ist auch ein Hindernis. Wer spricht schon Italienisch? Neuerdings, so erzählen es Flüchtlingshelfer, ist auch weitgehend bekannt, dass sich das allgemeine Klima für Zuwanderer in Italien zuletzt stark verschlechtert hat. Die Aufnahmeprogramme sind zusammengestrichen worden. Und auf der Straße werden Ausländer mit dunklerer Hautfarbe immer öfter fremdenfeindlich angepöbelt.

Ägypter sind inzwischen als "Pizzaioli", als Pizzabäcker, gefragt

Hängen bleiben die, welche ihr Geld aufgebraucht haben für die Schlepperdienste durch die Wüste und übers Meer, um bis nach Italien zu kommen und sich dann durchschlagen. Manche rechnen sich aus, dass ihnen die Arbeit auf den Tomatenfeldern oder auf Baustellen wenigstens so viel einträgt, dass sie sich die Weiterreise leisten können. Allein in Apulien gibt es etwa 40 000 ausländische Feldarbeiter. Gebaut wird gerade wenig in Italien.

Mehr Glück haben die, die wegen ihrer Nationalität den Ruf haben, etwas besonders gut zu können. Von den Ägyptern etwa heißt es, sie seien tolle Pizzabäcker. Und so stehen nördlich von Neapel fast nur noch ägyptische "Pizzaioli" am Holzofen - oder tunesische oder marokkanische. Menschen aus dem subsaharischen Afrika dagegen begegnen einem selten im sichtbaren Erwerbsleben, höchstens mal groß gewachsene Männer als Türsteher in teuren Luxusboutiquen in Rom, Florenz und Mailand. Oder im Fußballstadion oder als Getränkeverkäufer. Und am Strand, als wandelnde Kleinkrämer. Aber in einer Bank, einer Bar, an der Kasse eines Kleiderladens? Fast nie.

Das ist nicht gerade das Paradies, von dem man träumt, wenn man sich auf eine gefährliche Flucht wagt.

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SZ vom 20.07.2019
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