Süddeutsche Zeitung

Italien:Salvini in Bedrängnis

Lesezeit: 2 min

Der Senat in Rom hebt die Immunität des Ex-Innenministers auf. Staatsanwälte wollen ihn anklagen wegen Verdachts auf Freiheitsberaubung. In seiner Amtszeit hatte Salvini verhindert, dass gerettete Flüchtlinge an Land gehen.

Von Andrea Bachstein, München

Auch an diesem Tag gibt Matteo Salvini den starken Mann. Er habe seine Pflicht getan, "mein Gewissen ist rein", twitterte der Lega-Chef am Donnerstag. Er gehe erhobenen Hauptes voran und würde so auch vor Gericht treten, betonte er später noch.

Er wird wohl Gelegenheit haben, das zu zeigen: Am Abend stimmte der Senat in Rom dafür, Salvinis parlamentarische Immunität aufzuheben, so dass ein Prozess gegen ihn eröffnet werden kann, den Staatsanwälte in Palermo anstreben. Der Fall liegt fast genau ein Jahr zurück. Da war Matteo Salvini noch Innenminister, hatte aber die Koalitionsregierung unter Premier Giuseppe Conte schon fast in den Bruch getrieben. Während Salvini lautstark vom schicken Adria-Strandbad Papeete aus politisierte, spielten sich im Mittelmeer zwischen Libyen und Italien Flüchtlingstragödien ab. Und für Hunderte verlängerte sich das Leiden, weil Salvini Schiffe mit Geretteten nicht landen ließ. Das traf Rettungsorganisationen und sogar die eigene Küstenwache. Dazu war es kaum verhohlene Erpressung der EU-Partner; die Italiener wiederum sollten sehen, dass er sie schütze vor illegalen Migranten.

Staatsanwälte ermitteln wegen des Verdachts auf vielfache Freiheitsberaubung

So fand die Open Arms der spanischen Organisation Proactiva Open Arms vom 2. August an 19 Tage lang mit bis zu 160 aus Seenot Geborgenen keinen Hafen. Auch als EU-Länder zusagten, Flüchtlinge aufzunehmen, blieb Salvini hart. Die Lage an Bord spitzte sich zu, schließlich sorgten Italiens Verteidigungsministerin und sizilianische Staatsanwälte dafür, dass die Menschen endlich vom Schiff konnten.

Staatsanwälte in Palermo eröffneten Ermittlungen gegen Salvini wegen des Verdachts auf vielfache Freiheitsberaubung (auch Minderjähriger) an Bord, Verletzung internationalen Rechts und nationaler Seenotrettungsgesetze. Im Spiel sind Amtsmissbrauch, Unterlassung und Behinderung von Amtshandlungen. Der Immunitätsausschuss des Senats hob dafür Salvinis Immunität nicht auf, doch das Plenum entschied mit 149 zu 141 Stimmen anders. Die große Frage in der Debatte war: Handelte Salvini für die Regierung und im öffentlichen Interesse - oder auf eigene Kappe? Dafür spricht, dass er der schriftlichen Aufforderung des Premiers nicht folgte, sofort die Minderjährigen von Bord zu lassen. Senatoren von Lega und Berlusconis Forza Italia wollten Salvini das Schutzschild nicht nehmen. Die aus dem sozialdemokratischen Spektrum und der Cinque Stelle - damals Partner der Lega - schon. Ex-Premier Matteo Renzi, nun Chef der Kleinpartei Italia Viva, begründete es in der Debatte so: "Salvini handelte nicht im öffentlichen Interesse." Mit "politischen Prozessen" mache man ihm keine Angst, sagte der wiederum. Aber ob als Angeklagter Salvinis gesunkene Popularität steigen wird, ist fraglich.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4983858
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 31.07.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.