Süddeutsche Zeitung

Italien:Conte zeigt sich empört über Merkel

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Die Bundeskanzlerin wirbt dafür, europäische Kreditlinien zu nutzen. Italiens Premier könnte Geld gut brauchen, wenn da nicht ideologische Vorbehalte wären.

Von Oliver Meiler, Rom

Manchmal reicht in der Politik ein Satz, und schon gibt es einen "diplomatischen Mini-Casus". So nennt die römische Zeitung La Repubblica die italienische Reaktion auf das Interview der deutschen Kanzlerin Angela Merkel in der Süddeutschen Zeitung. Als Merkel in dem Gespräch gefragt wurde, ob sie finde, Italien sollte in der Krise die Angebote des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) nutzen, unter anderem also eine Kreditlinie für sanitäre Ausgaben, sagte sie: "Das ist eine italienische Entscheidung." Und weiter: "Diese Instrumente kann jeder nutzen. Wir haben sie nicht zur Verfügung gestellt, damit sie ungenützt bleiben."

"Um den Haushalt Italiens kümmere ich mich", stellt Conte klar

Nach Italien gelangte am Freitagabend in Vorabmeldungen zunächst nur der letzte dieser drei Sätze, die Prämissen davor nicht. Und so hörte es sich so an, als sehe Merkel im Angebot der Kredite vielmehr eine Verpflichtung, diese anzunehmen. Italiens Premier Giuseppe Conte schickte sich gerade an, in einer Pressekonferenz den Bürgern mitzuteilen, wie es im Herbst mit dem Schulbetrieb weitergehen werde. Da fragte ihn ein Journalist, was er denn von Merkels Bemerkung zum "MES" halte, dem Meccanismo Europeo di Stabilità, wie die Italiener den ESM nennen. Conte antwortete ungewohnt unwirsch: "Um den Haushalt Italiens kümmere ich mich, zusammen mit Finanzminister Roberto Gualtieri, den Buchhaltern des Staates und den anderen Ministern."

War die Empörung echt, oder war sie womöglich nur gespielt? Für den parteilosen Ministerpräsidenten ist die Geschichte mit dem "MES" ein heikler politischer Balanceakt - und ein Dilemma obendrein. Eigentlich braucht Italien in diesen schwierigen Zeiten jeden Euro, den es zu guten Bedingungen bekommt. Den "Pandemic Crisis Support" für direkte und indirekte Ausgaben im Gesundheitswesen gäbe es zu außerordentlich guten Konditionen.

Der Corriere della Sera hat ausgerechnet: Würden die Italiener am Finanzmarkt 36 Milliarden Euro aufnehmen wollen, wie sie der ESM in Aussicht stellt, würde sie das etwa 4,8 Milliarden Euro mehr kosten. Oder anders: Italien gingen bei einem Nein zum ESM 4,8 Milliarden Euro ab, die es für andere Investitionen brauchen könnte. "Wer die Kredite des ESM ablehnt, soll dann mal den Italienern erklären, warum er völlig unnötig weitere mindestens 4,8 Milliarden Euro Schulden auf deren Schultern und die Schultern ihrer Kinder legte", schreibt der Corriere.

Finanziell gibt es also keinen Grund, dagegen zu sein, das weiß auch Conte, nur darf er das nicht offen sagen. Seine Schutzmacht, die Cinque Stelle, sind seit jeher gegen den 2012 eingerichteten ESM - gewissermaßen aus Ideologie. Die Aversion rührt daher, dass Griechenland, das während der Finanzkrise mit Geld aus dem Stabilitätsmechanismus vor dem Bankrott gerettet wurde, dafür rigide Budgetvorgaben und Bevormundung akzeptieren musste. Das ist zwar diesmal ausdrücklich nicht der Fall: Die Kreditlinie für sanitäre Ausgaben gäbe es ohne jede Auflage. Doch das scheint die Gegner nicht zu beruhigen, sie vermuten Schlingen im Kleingedruckten.

Conte hofft, etwas Zeit zu gewinnen, um die Fünf Sterne doch noch zu überzeugen. In der Vergangenheit hat die Partei schließlich schon viele vermeintlich unverhandelbare Positionen aufgegeben. Bleibt sie aber geschlossen beim "Nein" zum ESM, dann hat die Abstimmung im Parlament keine Chance: Dagegen stimmen würden auch die rechtsnationalistischen Parteien Lega und Fratelli d'Italia. Matteo Salvini etwa sagt: "Merkel soll sich mal auf Deutschland konzentrieren, an Italien denken wir schon selbst."

Für eine Benutzung des ESM sprechen sich im Moment lediglich die Sozialdemokraten vom Partito Democratico aus, Matteo Renzis Italia Viva und die bürgerliche Forza Italia von Silvio Berlusconi. Der nun 83-jährige Berlusconi sagte neulich, ein "No" wäre "eine absonderliche Idee, ein Desaster".

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SZ vom 29.06.2020
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