Süddeutsche Zeitung

Israelischer Angriff auf Gazakonvoi:Biden sieht Israel im Recht

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US-Vizepräsident Joe Biden rechtfertigt die blutige Kaperung des Hilfskonvois für den Gazastreifen. Anders Ban Ki Moon: Der UN-Generalsekretär richtet ungewöhnlich deutliche Worte an Jerusalem.

Nach dem blutigen Angriff israelischer Streitkräfte auf den Gaza-Hilfskonvoi sind in der Nacht zum Donnerstag fast 500 der festgehaltenen Aktivisten in die Türkei und nach Griechenland ausgeflogen worden. Türkische Flugzeuge brachten 466 der Freigelassenen - unter ihnen sechs Deutsche und vor allem Türken - nach Istanbul. An Bord waren auch die Leichen der neun bei dem Zwischenfall getöteten Aktivisten, von denen bisher nur drei identifiziert werden konnten. In Athen trafen in der Nacht 35 freigelassene Gaza-Aktivisten ein.

US-Vizepräsident Joe Biden unterstrich derweil das Recht Israels, die Gaza-Flottille auf mögliche Waffen und andere unerlaubte Güter zu überprüfen. "Israel hat das Recht zu wissen, ob Waffen eingeschmuggelt werden", sagte Biden in einem Fernsehinterview. Schließlich befinde sich Israel "im Krieg" mit der radikal-islamischen Palästinenser-Organisation Hamas.

Führende US-Regierungsbeamte erklärten unterdessen der New York Times, dass die Regierung von Präsident Barack Obama die Seeblockade des Gazastreifens als "unhaltbar" betrachte. Zudem dränge Washington auf eine neue Politik, mit der mehr Güter in den verarmten Gazastreifen gelangen könnten. "Der Gazastreifen ist in der arabischen Welt zum Symbol dafür geworden, wie Israel die Palästinenser behandelt, und wir müssen das ändern", wurde ein Regierungsbeamter zitiert.

Die USA haben Israel beim Umgang mit der Gaza-Hilfsflotte wiederholt zu "Vorsicht und Zurückhaltung" aufgefordert. Dies teilte der Sprecher des US-Außenministeriums, Philip Crowley der Washington Post mit. Crowley sagte nach Angaben des Blattes vom Donnerstag, die US-Regierung habe Wert auf "Vorsicht und Zurückhaltung" gelegt, da es an Bord der Schiffe Zivilisten, darunter US-Bürger, gegeben habe.

Im Gazastreifen verweigerte unterdessen die Hamas die Annahme der Güter, die Israel von den Schiffen der "Solidaritätsflotte" abgeladen und auf Lastwagen verfrachtet hatte. Während acht Lastwagen mit Medikamenten, Nahrungsmitteln, Rollstühlen und Kinderspielzeug am Grenzübergang Kerem Schalom zwischen Israel und dem Palästinensergebiet auf Abfertigung warteten, stellte Hamas-Wohlfahrtsminister Ahmed al-Kurd für die Annahme mehrere Bedingungen. Unter anderem müsse Israel zunächst alle Gefangenen von der Gaza- "Solidaritätsflotte" freilassen, forderte Al-Kurd. Nach israelischen Angaben sind bereits alle Häftlinge frei, bis auf drei Gefangene, die wegen "verfahrenstechnischer Probleme" noch in Israel seien.

Ban Ki Moon fordert Aufhebung der Gaza-Blockade

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon forderte Israel in aller Deutlichkeit auf, die Gaza-Blockade mit sofortiger Wirkung aufzuheben. Sie "ist kontraproduktiv, nicht nachhaltig und unrecht", sagte Ban am Mittwochabend vor Journalisten in New York. Die schon seit Jahren anhaltende Isolation des Gazastreifens "straft unschuldige Bürger", bekräftigte Ban. Er habe Israels Regierung seit Monaten "auf höchster Ebene" zum Einlenken gedrängt. Wenn sie seinem Ruf gefolgt wäre, hätte sich die blutige Konfrontation im Mittelmeer nicht ereignet. "Die Tragödie unterstreicht nur die Schwere des zugrundeliegenden Problems".

Israel müsse nach dem Tod von neun Aktivisten auf den mit Hilfsgütern für den Gazastreifen beladenen Schiffen nun einen detaillierten Bericht über das Geschehen abgeben. Auf die Frage, wann und in welcher Form er die Vorgänge klären lassen werde, erwiderte Ban: "Bis zu meiner Entscheidung müssen Sie noch eine Weile warten". Er werde zunächst im Gespräch mit allen Betroffenen, den Israelis einschließlich, Vorschläge sammeln.

In Istanbul trafen in der Nacht 466 freigelassene Aktivisten ein, unter ihnen sechs Deutsche. Die Freigelassenen - überwiegend Türken - wurden vom türkischen Vize-Regierungschef Bülent Arinc begrüßt. Er verurteilte den israelischen Angriff erneut als "grausam und barbarisch". Das türkische Justizministerium habe Schritte eingeleitet, um gegen die Verantwortlichen auf Grundlage türkischer und internationaler Gesetze vorzugehen.

Schussverletzungen bei den Leichen festgestellt

Rechtsmedizinische Untersuchungen in Istanbul haben derweil ergeben, dass die neun Aktivisten, die bei der israelischen Kommandoaktion gegen die internationale Hilfsflotte für den Gazastreifen ums Leben kamen, erschossen wurden. Wie die türkische Nachrichtenagentur Anadolu berichtete, seien bei den Leichen Schussverletzungen festgestellt worden. Auf eines der Opfer sei laut den Berichten der Gerichtsmediziner aus kurzer Distanz gefeuert worden. Weitere Erkenntnisse zu den Todesumständen erhofften sich die Experten von den ballistischen Untersuchungen, deren Ergebnisse in etwa einem Monat vorlägen. Bei den neun Toten handelt es laut Anadolu um acht türkische Staatsbürger und einen türkischstämmigen US-Bürger; der türkische Nachrichtensender NTV hatte zuvor von neun toten Türken berichtet. Die islamische Hilfsorganisation IHH, die den Schiffskonvoi geleitet hatte, sprach zudem von drei Vermissten.

Über den Zustand der sechs Deutschen lagen zunächst keine näheren Angaben vor. Die deutschen Vertretungen in der Türkei stünden in Kontakt mit den türkischen Behörden und bemühten sich um direkten Zugang zu den deutschen Staatsangehörigen, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin.

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