Süddeutsche Zeitung

Israel:Shoppen und Steinewerfen am Sabbat

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Am Sabbat kommt ganz Israel zur Ruhe. Ganz Israel? Nein. Die Bewohner von Tel Aviv hören nicht auf, dem Sabbat-Gebot Widerstand zu leisten. Und sorgen damit für viel Unmut.

Von Peter Münch, Tel Aviv

"Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun", sprach der Herr, "am siebten Tag aber sollst du ruhen." Der Sabbat also ist heilig per göttlicher Definition, und im jüdischen Staat bestimmt dieses dritte der Zehn Gebote bis heute das Leben. Am Sabbat fahren keine öffentlichen Verkehrsmittel, die Flugzeuge von El Al bleiben am Boden, Geschäfte sind geschlossen und ganz Israel kommt zur Ruhe. Ganz Israel? Nein. Eine von einem unbeugsamen Feier-Stamm bevölkerte Stadt hört nicht auf, dem Sabbat-Gebot Widerstand zu leisten. Doch nun fährt ein hoch angesehener Rabbiner den Tel Avivern mit einem flammenden Protestbrief in die Parade.

Anlass ist eine im Stadtrat zur Abstimmung stehende neue Verordnung, die es einigen Geschäften erlauben soll, am Sabbat zu öffnen. Der Oberste Gerichtshof hatte eine Regelung verlangt für das, was ohnehin seit Langem schon gängige Praxis ist in der Mittelmeer-Metropole. Denn hier sind am Sabbat die Cafés und Restaurants noch voller als an jedem anderen Tag, bestimmte Supermärkte sind rund um die Uhr geöffnet und im neuen Hafenviertel kann jeder nach Herzenslust shoppen gehen.

Doch mit der offiziellen Erlaubnis sieht der Tel Aviver Chef-Rabbiner Israel Meir Lau nun endgültig eine Grenze hin zum Unheil überschritten. "Der Ruf des Sabbats bricht durch die Mauern meines Herzens", schreibt der Rabbi an den Bürgermeister Ron Huldai, "nun kann ich nicht mehr länger schweigen." Auf dem Spiel, so argumentiert er, stehe nichts weniger als der Charakter der gesamten Gesellschaft.

Die weit entfernten Pole sind Tel Aviv und Jerusalem

Tatsächlich ist der Streit um den Sabbat nicht zu vergleichen mit den deutschen Diskussionen um eine Ladenöffnung am Sonntag. Zwar pochen auch da die Kirchen auf den Ruhetag, doch letztlich hat schon Jesus bestimmt, dass "der Sabbat für den Menschen da ist, nicht der Mensch für den Sabbat". Im Judentum aber steht der wöchentliche Feiertag explizit für die Verbindung des auserwählten Volks mit dem Herrn, der schließlich auch die Welt in sechs Tagen erschaffen hatte, um am siebten Tag zu ruhen. Es ist ein Tag des Gebets und der Kontemplation, die im Gebrause des Alltags auch weniger Fromme zu schätzen wissen. Doch nun wird der Streit um den Sabbat immer mehr zu einem Hauptschauplatz des Kulturkampfes zwischen ultra-orthodoxen und säkularen Juden.

Die weit entfernten Pole sind dabei die nur 60 Kilometer auseinander liegenden Städte Tel Aviv und Jerusalem. In der Stadt auf dem Berg, die für jeden anders, aber für alle heilig ist, wird in den jüdischen Vierteln die Sabbat-Ruhe bis heute mit großem Eifer eingehalten. Dazu gehören auch Straßenschlachten, wenn ein frommer Mob zum Beispiel mit Gewalt verhindern will, dass ein Parkhaus am Tag der Ruhe geöffnet wird. Schließlich ist ja auch das Autofahren verboten, weil am Sabbat kein Feuer entzündet werden darf. Steinewerfen dagegen ist ausdrücklich erlaubt, schließlich hat - nachzulesen im 4. Buch Mose unter dem Kapitel "Strafe für Sabbatschändung" - schon der Herr befohlen, einen Mann zu steinigen, der Holz auflas am Sabbat.

Kompromisse sind da schwer zu finden, was in der Praxis dazu führt, dass sich im kleinen Gelobten Land die Lebenswelten seiner Bewohner immer weiter trennen. Wer als säkularer Jude noch in Jerusalem lebt, muss sich am Wochenende wohl oder übel den strengen Sitten der Frommen anpassen. Viele zieht es deshalb am Sabbat hinunter zum Strand nach Tel Aviv. Doch längst nicht jeder kann die Flucht ergreifen - es fahren ja keine Busse oder Züge.

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Quelle:
SZ vom 22.03.2014
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