Süddeutsche Zeitung

Israel:Plötzlich ganz bedrohlich

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Vor der Wahl gab sich Premier Netanjahu noch ganz gelassen, nun ergreift seine Regierung drastische Maßnahmen.

Von Alexandra Föderl-Schmid

Am Montag hatte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bei der Stimmabgabe noch versichert: "Das Corona-Ding ist komplett unter Kontrolle. Wir haben alle nötigen Vorsorgemaßnahmen ergriffen." Zwei Tage nach der Parlamentswahl, die ihm einen Sieg, aber keine Mehrheit sicherte, sprach Netanjahu nun von "einer weltweiten Pandemie, die vielleicht die gefährlichste der vergangenen einhundert Jahre ist". Die Regierung verhängte drastische Maßnahmen, die nach Angaben des Gesundheitsministeriums mindestens 70 000 Israelis in Quarantäne zwingen.

Als die neuen Verhaltensregeln und Bestimmungen nach der Einreise aus fünf europäischen Ländern, darunter Deutschland, am späten Mittwochnachmittag veröffentlicht wurden, standen die Telefone im eigens eingerichteten Coronazentrum nicht mehr still. Binnen weniger Stunden wurden 39 000 Anrufe bei der Hotline registriert - ein Anstieg um 700 Prozent. Aufgrund der vielen Anfragen brach auch die Homepage zusammen.

Weil einige der verkündeten Maßnahmen nicht klar oder widersprüchlich waren, löste das Chaos und Unsicherheit aus. In den veröffentlichen Regelungen hieß es, Israelis, die aus einem dieser Staaten zurückkehren, müssten sich für 14 Tage in häusliche Quarantäne begeben - retroaktiv vom Tag der Einreise an. Wer also bereits vor einer Woche zurückgekehrt war, muss noch eine weitere Woche zu Hause bleiben. Wer kein israelischer Staatsbürger ist und aus der Schweiz, Deutschland, Österreich, Frankreich und Spanien ankommt, darf nicht mehr einreisen - außer man begibt sich in eine 14-tägige Quarantäne in einer Privatwohnung. Zuerst hieß es, diese Maßnahmen sollten "in den nächsten Tagen" umgesetzt werden. Dann wurde nachgebessert: Für Ausländer sollten die verschärften Einreisebestimmungen von Freitag, 8 Uhr, an gelten. Israelis müssten sofort in Quarantäne, hieß es. Am Donnerstag wurden dann Richtlinien veröffentlicht, dass Touristen aus diesen Ländern, die bereits im Land seien, ihre Reise wie geplant fortsetzen könnten.

Viele von denen, die sich zu Besuch in Israel aufhielten, versuchten, rasch Flüge zu bekommen und noch am Mittwoch oder Donnerstag auszureisen. Am Donnerstagnachmittag erklärte die deutsche Fluggesellschaft Lufthansa, dass sie - genauso wie bei Austrian Airlines und Swiss - Flüge von und nach Israel bis 28. März aussetzt. Vereinzelt gibt es noch Verbindungen bis zum Sonntag, ab dann Tel Aviv und Eilat nicht mehr angeflogen.

Viele Israelis stornierten nach Verkündung der neuen Regeln Reisen, weil sie nicht nach der Rückkehr in Quarantäne wollen. Als sich die geplanten Maßnahmen herumsprachen, stiegen am Mittwochabend in mehreren Flugzeugen, die kurz vor dem Abflug Richtung europäischer Destinationen waren, Passagiere wieder aus. Am Mittwochabend landeten 19 Flugzeuge aus den fünf europäischen Ländern. Die israelischen Passagiere wussten oft nicht, dass sie gleich nach der Ankunft in Quarantäne mussten.

Die neuen Regeln beeinträchtigen das öffentliche Leben in Israel. Für die nächsten Tage wurden Konzerte und Sportveranstaltungen abgesagt. Auch die Umzüge für Purim, eine Art jüdischem Fasching, wurden untersagt. Medizinischem Personal und Soldaten wurde verboten, das Land zu verlassen - um ihre Ansteckung zu verhindern. Personen über 60 Jahren wurde empfohlen, Kontakt mit Personen zu vermeiden, die zuletzt im Ausland waren.

Das israelische Gesundheitsministerium wiederholte seine Aufforderung an alle Bürger, generell Flugreisen zu vermeiden. Die israelische Fluglinie El Al kündigte an, tausend der 6000 Mitarbeiter zu entlassen. Netanjahu rief dazu auf, Händeschütteln zu unterlassen. Gegenwärtig gelten in Israel 17 Personen als infiziert. Für Einreisende aus Italien und mehreren asiatischen Ländern galten bereits seit zwei Wochen Einreisebeschränkungen.

Im Westjordanland stieg am Donnerstag die Zahl der Corona-Fälle auf sieben. Die palästinensische Autonomiebehörde gab bekannt, dass von Freitag an Touristen nicht mehr im Westjordanland übernachten dürfen. Moscheen und Kirchen, darunter die Geburtskirche in Bethlehem, werden für zwei Wochen geschlossen.

Israels Außenminister Israel Katz verteidigte die restriktiven Bestimmungen für Einreisen aus europäischen Ländern als notwendig, um Israelis zu schützen. Die USA sind nicht betroffen, obwohl es dort auch Corona-Fälle gibt. In politischen Kreisen wurde gemutmaßt, dass die vergleichsweise strikten Maßnahmen der Regierung etwas mit den schwierigen Koalitionsverhandlungen zu tun haben dürften. Behörden bestätigten am Donnerstag Überlegungen, einen generellen Notstand auszurufen. Dann dürften auch keine Gerichtsverhandlungen abgehalten werden. Betroffen wäre davon auch Netanjahu. Der Prozess gegen den Ministerpräsidenten mit drei Anklagen wegen Korruption ist für den 17. März angesetzt.

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SZ vom 06.03.2020
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