Süddeutsche Zeitung

Israel:Niederlage für Netanjahu

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Erstmals in der Geschichte des Landes muss ein amtierender Ministerpräsident vor Gericht. An diesem Sonntag beginnt der Prozess gegen den Premier: Er muss persönlich erscheinen.

Von Alexandra Föderl-Schmid, München

Auch für den Regierungschef gibt es in Israel keine Ausnahme: Bis zum Schluss hatte Benjamin Netanjahu versucht, zumindest sein Erscheinen vor Gericht zu vermeiden, da er schon den Korruptionsprozess nicht hatte verhindern können. Das Jerusalemer Bezirksgericht wies in dieser Woche seine Anträge ab und ordnete an, dass Netanjahu zum Auftakt des Prozesses am Sonntag persönlich anwesend sein muss. Das Gericht legte fest, dass Netanjahu "wie jeder andere Beschuldigte auch erscheinen und vor dem Gericht seine Aussage machen" müsse. Der für den 17. März vorgesehene Prozessauftakt war wegen der Corona-Krise verschoben worden.

Seine Anwälte hatten argumentiert, Netanjahus Erscheinen sei für die Anklageverlesung "nicht erforderlich", da er die Anklageschrift schon mehrmals gelesen habe. Der Politiker der rechtsnationalen Likud-Partei hatte zuletzt "Sicherheitsbedenken" angeführt. Das Gericht teilte ihm außerdem mit, dass die Anwesenheit seiner Leibwächter im Saal gegen die von seiner Regierung wegen der Coronabekämpfung festgelegten Abstandsregeln verstoße. Auch Staatsanwältin Liat Ben Ari hat inzwischen auf Anraten der Polizei Leibwächter an ihrer Seite, nachdem sie Drohungen erhalten hatte.

Vorsitzende Richterin ist Rivka Friedman-Feldman, die an der Verurteilung des früheren Ministerpräsidenten Ehud Olmert zu 27 Monaten Haft beteiligt war. Olmert trat jedoch 2008 bereits zurück, als die Vorwürfe gegen ihn bekannt wurden - gedrängt vom damaligen Oppositionschef Netanjahu. So ist Netanjahu der erste amtierende Regierungschef in Israels Geschichte, der vor Gericht gestellt wird. Er ist in drei Fällen angeklagt wegen Bestechlichkeit, Betrug und Untreue.

Bei den Korruptionsvorwürfen geht es um den Verdacht der Beeinflussung von Medien und teure Geschenke befreundeter Milliardäre. Im brisantesten der drei Fälle soll Netanjahu dem Unternehmen Bezeq Begünstigungen gewährt haben. Eigentümer Shaul Elovitch sollen 500 Millionen Dollar zugutegekommen sein. Drei langjährige Mitarbeiter treten als Kronzeugen der Anklage auf. Netanjahu nannte die Vorwürfe "Hexenjagd".

Nach Ansicht von Experten des israelischen Demokratie-Instituts wird das Verfahren samt der erwarteten Anrufung des Obersten Gerichts länger als drei Jahre dauern. Als Ministerpräsident muss Netanjahu erst zurücktreten, wenn der Fall auch in letzter Instanz entschieden ist. Deshalb hat sich die vergangenen Sonntag vereidigte Regierung darauf verständigt, dass Netanjahu den neu kreierten Titel "alternativer Ministerpräsident" tragen kann, wenn er das Amt des Regierungschefs zur Mitte der dreijährigen Amtszeit an Benny Gantz übergibt.

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SZ vom 23.05.2020
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