Süddeutsche Zeitung

Israel:Krisen schweißen zusammen

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Am 17. September steht in Israel erneut eine Parlamentswahl an. Damit es diesmal mit der Regierungsbildung klappt, geht Premier Netanjahu auf Herausforderer Benny Gantz zu.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv

Yair, der Sohn von Israels Premierminister Benjamin Netanjahu, mischt sich gerne in die Politik ein. Normalerweise zieht er auf Facebook über politische Rivalen seines Vaters oder regierungskritische Organisationen her. Diesmal plauderte er aus, sein Vater werde nach der Parlamentswahl am 17. September eine Regierung mit der zentristischen Partei Blau-Weiß bilden.

Bereits als Signal für eine Annäherung war von Beobachtern gewertet worden, dass der Regierungschef Anfang dieser Woche erstmals den Spitzenkandidaten von Blau-Weiß, Benny Gantz, eingeladen hat. Israel sieht sich von Iran bedroht, die Spannungen haben nach Militäraktionen Israels in Syrien und mutmaßlich auch im Irak und Libanon zugenommen. Die Einladung Netanjahus brachte Gantz, der vor seiner politischen Karriere Generalstabschef der Armee war, in eine Zwickmühle. Anders als andere Oppositionspolitiker warf Gantz dem Regierungschef nicht vor, die derzeitige Sicherheitslage politisch auszunützen. Andererseits hat Gantz hat erklärt, einen unter Korruptionsverdacht stehenden Ministerpräsidenten nicht unterstützen zu wollen.

Avigdor Lieberman könnte erneut die Rolle des Königsmachers zukommen

Netanjahu scheint sich mit Blick auf die Umfragen Möglichkeiten für Verhandlungen mit der größten Oppositionspartei nach der Wahl in knapp drei Wochen nicht verbauen zu wollen. Denn es könnte sein, dass keine andere Regierungskonstellation möglich ist. Seine rechtsnationale Likud-Partei und Blau-Weiß hatten im April jeweils 26 Prozent und 35 Sitze erreicht, Netanjahus Partei hatte etwas mehr Stimmen bekommen.

Aber Netanjahu dürfte wie schon nach der Wahl im April nicht in der Lage sein, eine Mehrheit für eine rechte Koalition zustandezubringen - ohne den Vorsitzenden der säkular-nationalen Partei Unser Haus Israel, Avigdor Lieberman. Die rechten und ultraorthodoxen Parteien, der sogenannte rechte Block, kommt ohne Liebermans Partei auf 56 der 120 Sitze in der Knesset. Der linke Block inklusive Blau-Weiß kommt nur auf 44 Sitze. Zählt man die erstarkenden arabischen Parteien der gemeinsamen Liste dazu, sind es 55 Sitze.

Der ehemalige Verteidigungsminister Lieberman hatte die Koalitionsverhandlungen mit Netanjahu platzen lassen, weil er zu viel Einfluss der ultraorthodoxen Parteien in der Regierung sah. Bisher sind seine Stammwähler vor allem russischstämmige Israelis. Mit seiner religionskritischen Positionierung gewinnt er Anhänger für seine Partei. Laut Umfragen könnte seine Partei die Anzahl ihrer fünf Sitze sogar verdoppeln. Damit könnte Lieberman erneut die Rolle des Königsmachers zukommen.

Lieberman hat bereits kundgetan, dass er eine Regierung mit Likud und Blau-Weiß bilden will - auf jeden Fall ohne die ultraorthodoxen Parteien. Die große Koalition wird in Israel Einheitsregierung genannt. Lieberman spricht von einer "Notfall-Regierung, einer national-liberalen Koalition". Mit Blau-Weiß hat er bereits ein Abkommen geschlossen. Es sieht vor, dass beide Parteien nach der Wahl überschüssige Stimmen zusammenlegen, um einen weiteren Knessetsitz herauszuholen. Das ist möglich durch eine Besonderheit im israelischen Wahlrecht: Wenn für einen Sitz 100 000 Stimmen notwendig sind und eine Partei 120 000 Stimmen erhält, bleiben 20 000 übrig. Hat eine andere Partei 80 000 übrige Stimmen, können diese zusammengelegt werden und ergeben einen weiteren Sitz.

Sollte es zu Verhandlungen über eine solche Einheitsregierung kommen, wird Netanjahu den Anspruch stellen, weiter Regierungschef zu sein. Sein Ziel, David Ben Gurion als am längsten dienenden Ministerpräsidenten des Landes abzulösen, hat er im Juli bereits erreicht. Lieberman behauptet, viele Politiker des Likud würden "beten", dass Netanjahu zurücktreten müsse.

Mitten in den Koalitionsverhandlungen muss Netanjahu am 2. Oktober zu einer Anhörung vor Gericht. Danach wird entschieden, ob Anklagen in drei Korruptionsfällen gegen ihn erhoben werden. In den vergangenen Tagen sickerten Zeugenaussagen durch, die den Regierungschef belasten.

Aber noch hat Netanjahu nicht aufgegeben, für einen möglichst starken rechten Block zu kämpfen. Er verhandelte persönlich mit der extremistischen Partei Jüdische Kraft und mit Mosche Feiglin. Er brachte ihn dazu, sich mit seiner nationalistischen-libertären Zehut-Partei von der Wahl zurückzuziehen. Er bot ihm unter anderem einen Ministerposten und die Liberalisierung von Cannabis an. Damit will Netanjahu verhindern, dass rechte Stimmen an Parteien gehen, denen nicht zugetraut wird, die 3,25-Prozent-Hürde für den Einzug in die Knesset zu überspringen.

Im Likud gibt es auch Überlegungen für eine Gesetzesänderung, um Kameras in Wahllokalen zu ermöglichen. Likud-Anhänger hatten im April mit mehr als tausend Kameras vor allem solche Lokale aufgesucht, wo arabische Israelis ihre Stimmen abgaben. Ihre Hoffnung war, möglichst viele durch diese Überwachung vom Urnengang abzuhalten. Die Wahlkommission hatte den Einsatz von Kameras durch Parteien verboten, weshalb nun das Gesetz geändert werden soll.

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SZ vom 30.08.2019
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