Süddeutsche Zeitung

Israel:Ein Mann, ein Chaos

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Benjamin Netanjahu kämpft nur noch für sich selbst - und beschädigt dabei die Grundpfeiler der Demokratie.

Von Alexandra Föderl-Schmid

Jetzt müsste allen Israelis klar sein: Benjamin Netanjahu geht es nicht mehr um das Wohl seines Landes. Es geht ihm nur um sein politisches Überleben und darum, nicht vor Gericht erscheinen zu müssen. Als erster Ministerpräsident in der Geschichte Israels hat er am Mittwochabend im Parlament Immunität beantragt, um sich vor Strafverfolgung zu schützen. Er ist mit drei Anklagen wegen Bestechlichkeit, Betrug und Untreue konfrontiert. Doch statt zurückzutreten und sich seinem juristischen Kampf zu widmen, nimmt er das ganze Land in Geiselhaft und treibt es in eine dritte Parlamentswahl in kurzer Zeit.

Mit dem Immunitätsantrag versucht Netanjahu, Zeit zu gewinnen. Er weiß, dass es derzeit gar keinen Ausschuss gibt, der sich mit seinem Ansinnen beschäftigen kann. Als Politiker ist er maßgeblich schuld daran, dass es kein voll funktionsfähiges Parlament gibt. Nun zieht Netanjahu Nutzen aus dem von ihm selbst verursachten politischen Chaos. Politische Rivalen nennen ihn einen Lügner. Diesen Vorwurf muss sich Netanjahu gefallen lassen, denn er hat in einem TV-Interview zweimal beteuert, er werde nicht Immunität beantragen.

Genau das hat er nun getan in einer bemerkenswerten Ansprache, die gespickt war mit Verschwörungstheorien und Verleumdungen. Sogar seine ehemalige Justizministerin Ayjelet Schaked sieht sich gezwungen, gegen seine Behauptungen Stellung zu beziehen. Mit seinen Anschuldigungen, dass Zeugen unter Druck gesetzt und Akten gefälscht worden seien, stellt er die Glaubwürdigkeit von Justiz und Polizei infrage. Er beschädigt damit Grundpfeiler der Demokratie, auf die Israelis zu Recht stolz sind. Aus eigenem Interesse destabilisiert er das System. Den Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit überzieht Netanjahu mit Unterstellungen, dabei ist der Jurist nur seinen Aufgaben nachgekommen. Wenn Netanjahu so unschuldig ist, wie er bisher behauptet hat, könnte er den Wahrheitsbeweis vor Gericht antreten. Aber genau darauf will er sich nicht einlassen.

Netanjahu spekuliert darauf, dass er nach der Wahl im März eine Koalition anführen wird, die ihm per Gesetz Straffreiheit garantiert. Deshalb will der 70-Jährige nicht weichen, auch wenn er zweimal an der Regierungsbildung gescheitert ist und die zweite Wahl mit seinem rechtsnationalen Likud verloren hat. Noch halten ihm seine Anhänger im Likud die Treue, aber die Umfragewerte der Partei sinken.

Netanjahu will nicht wahrhaben, dass die Mehrheit der Israelis dagegen ist, ihm Immunität zu gewähren. Er sieht sich über dem Gesetz stehend und macht dafür - trotz zuletzt verlorener Wahl - den Wählerwillen geltend. Er will den nächsten Urnengang, bei der es um die Zusammensetzung des Parlaments gehen sollte, zu einer Abstimmung über sein persönliches Schicksal machen. So steht Israel erneut ein Wahlkampf bevor, in dem es nicht um einen demokratischen Wettstreit der Ideen geht, sondern um die Frage: für oder gegen Netanjahu? Zugespitzt geht es eigentlich darum: Soll der Ministerpräsident vor Gericht oder nicht?

Benjamin Netanjahu wird wohl auch nicht weichen, sollte sich im März, wie die Umfragen voraussagen, an der Pattsituation zwischen den beiden Lagern nichts ändern. Viele Israelis gehen zu Recht schon davon aus, dass es zu einer vierten Wahl kommen kann. Denn Netanjahu kämpft nur noch für sich.

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Quelle:
SZ vom 03.01.2020
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