Süddeutsche Zeitung

Israel:Ein Land, zwei Welten

Lesezeit: 3 min

Der Wunsch vieler Araber nach einem eigenen Staat ist im Wahlkampf kein Thema. Das sorgt für Enttäuschung - ein Boykott könnte allerdings den rechten Parteien zugutekommen.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv

"Ist für Sie ein palästinensischer Staat ausgeschlossen?", fragte der Moderator Benny Gantz bei einer Wahlkampfveranstaltung am Dienstagabend in Tel Aviv. Der Herausforderer von Israels Premierminister Benjamin Netanjahu holte aus: "Wir müssen das Jordantal als unsere östliche Sicherheitsgrenze erhalten, wir können uns nicht hinter den Linien von 1967 zurückziehen. Wir müssen die Siedlungsblöcke erhalten und Jerusalem wird für immer die vereinte Hauptstadt Israels bleiben." Das Wort Zweistaatenlösung nahm er nicht in den Mund, es kommt auch im Programm des blau-weißen Bündnisses nicht vor.

1967 hatte Israel im Sechstagekrieg den Gazastreifen und die Sinai-Halbinsel von Ägypten, das Westjordanland mit Ostjerusalem von Jordanien und die Golanhöhen von Syrien erobert. Nach palästinensischen Vorstellungen soll ein Staat aus dem Westjordanland und dem Gazastreifen entstehen, die sogenannte Grenze von 1967 die Trennlinie darstellen. Aber nach den Plänen des blau-weißen Bündnisses würden Ostjerusalem und ein Teil der von rund 400 000 Siedlern bewohnten Gebiete im Westen des besetzten Westjordanlandes weiter zu Israel gehören. Das Jordantal im Osten würde Israel kontrollieren. Auch zu einer Einstaatenlösung bezog Gantz bei seinem Wahlkampfauftritt Stellung: "Wir wollen die Palästinenser nicht regieren. Wir wollen keinen binationalen Staat."

Gantz spricht bei seinen Auftritten vor der Wahl am 9. April das Thema Ein- oder Zweistaatenlösung von sich aus nicht an. Auch Netanjahu, der Spitzenkandidat des rechtsnationalen Likud, geht nur darauf ein, wenn er gefragt wird. Ein israelischer Druse wollte von Netanjahu in einem Frage-Antwort-Format auf Likud-TV wissen, ob er nach der Verabschiedung des Nationalstaatsgesetzes, das Israel als jüdischen Staat definiert, noch gleichberechtigter Bürger sei. Netanjahu versicherte, dass es "gleiche Rechte für alle" gebe. "Aber die Araber haben ringsum 22 Staaten, die brauchen nicht noch einen weiteren Staat."

42 Prozent unterstützen zumindest eine teilweise Annexion des Westjordanlandes

Unmittelbar vor dem Urnengang 2015 hatte sich Netanjahu deutlicher geäußert: "Es wird keinen palästinensischen Staat geben. Jeder, der sich von Gebieten zurückzieht, gibt für den radikalen Islam eine Abschussrampe für Angriffe auf Israel frei." Das letzte Mal, dass sich Netanjahu öffentlich zu einer Zweistaatenlösung bekannt hat, war bei der Präsentation von Avigdor Lieberman als Verteidigungsminister im Mai 2016. Damals versicherte er, die Regierung halte sich "an das vereinbarte Ziel von zwei Staaten für zwei Nationen". Aber damals war noch Barack Obama US-Präsident. Sein Nachfolger Donald Trump verkündete vor eineinhalb Wochen die Anerkennung der von Israel 1981 annektierten Golanhöhen als Teil des Landes. Eine Umfrage im Auftrag der linksliberalen Tageszeitung Haaretz zeigt nun, dass ein Großteil der Israelis weitere Annexionen befürworten. 42 Prozent unterstützen zumindest eine teilweise Annexion des Westjordanlandes. Auch unter den Anhängern des blau-weißen Bündnisses oder linker Parteien wie der Arbeitspartei oder Meretz findet dieses Vorgehen Zustimmung. 25 Jahre nach Abschluss der Oslo-Verträge, die die Schaffung eines palästinensischen Staates zum Ziel hatten, unterstützen nur noch 34 Prozent eine Zweistaatenlösung. 19 Prozent sind für eine Einstaatenlösung. Der Anteil der arabischen Israelis macht rund 17,5 Prozent aus.

Zu den vehementen Befürwortern einer Einstaatenlösung gehört Awad Abdelfattah. Der ehemalige Generalsekretär der linken arabischen Balad-Partei, die bei der Wahl diesmal mit der Vereinigten Arabischen Liste antritt, ist Koordinator der "Kampagne für einen demokratischen Staat". Sein Vorbild: Südafrika nach der Auflösung der Apartheid. Das Nationalstaatsgesetz zeige: "Israel deklariert sich selbst als Apartheidstaat."

Mit rund 120 gleichgesinnten Israelis, Palästinensern in Israel, im Westjordanland und im Exil arbeitet er für sein Ziel, einen einzigen Staat zu schaffen: "Säkular, demokratisch, mit gleichen Rechten für alle." Das Vorhaben werde sicher nicht nach dieser Wahl, sondern "erst in zehn, fünfzehn Jahren" verwirklicht. Derzeit zeigten israelische Politiker "ihr wahres Gesicht", meint er bei einem Gespräch in Haifa. Zum einen ist damit Netanjahu gemeint, der dem israelischen Model Rotem Sela auf Instagram auf eine an die Allgemeinheit gestellte Frage, was das Problem mit den arabischen Israelis sei, persönlich antwortete: "Laut dem Nationalstaatsgesetz, das wir verabschiedet haben, ist Israel der Nationalstaat des jüdischen Volkes, und zwar ausschließlich." Damit hat er viele arabische Israelis vor den Kopf gestoßen, die aber ohnehin nicht zu den potenziellen Likud-Wählern gehören. Gantz hat mit seiner auch am Donnerstagabend wiederholten Aussage, er koaliere nicht mit den arabischen Parteien, ebenso für Enttäuschung bei arabischen Wählern gesorgt.

Überdies hat sich nach internem Streit die aus vier arabischen Parteien bestehende Gemeinsame Liste aufgelöst, die zuletzt 13 der 120 Sitze in der Knesset eroberte und drittstärkste Partei wurde. Nun treten zwei arabische Listen mit je zwei Parteien an. Gehen diesmal viele arabische Israelis oder Drusen - etwa aus Verärgerung über das Nationalstaatsgesetz - nicht zur Wahl, würden wohl Netanjahu und sein rechter Block, der besser mobilisieren kann, profitieren.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4395033
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 04.04.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.