Süddeutsche Zeitung

Israel:Dritte Wahl

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Die Bürger müssen Anfang März wieder an die Urnen. Die Schuld daran geben viele dem amtierenden Premier Benjamin Netanjahu. Er will unbedingt wieder regieren.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Jerusalem

Sie harren seit Tagen bei Wind und Regen aus: Am Rande des Unabhängigkeitsparks im Zentrum von Jerusalem haben Israelis ein Dutzend Zelte und Tische aufgestellt, dazwischen hängen neben israelischen Fahnen Transparente. "Bibi tritt zurück!", steht auf einem Plakat - Bibi ist der Spitzname von Premierminister Benjamin Netanjahu. Auf einem anderen Banner wird gefragt: "Wo bleibt die Moral?" Zwei Frauen und ein Mann versuchen mit Leuten, die in ihren Autos auf der Agron-Straße im Stau stehen, ins Gespräch zu kommen. "Haut ab!", rufen drei Handwerker aus einem Lastwagen.

Dror Elimelech lässt sich davon nicht einschüchtern. Der 46-jährige Leiter eines Kundenbetreuungscenters hat sich extra Urlaub genommen, um seit Tagen Überzeugungsarbeit auf der Straße zu leisten: "Netanjahu muss zurücktreten. Er glaubt, ihn kann niemand ersetzen. Und viele nehmen ihm das ab", sagt Elimelech. Jetzt, da die Regierungsverhandlungen zum zweiten Mal gescheitert seien und Israel am 2. März 2020 auf die dritte Wahl binnen eines Jahres zusteuert, müsse jedem Bürger klar sein: "Es geht Netanjahu nur um sich selbst, nicht um das Wohl des Landes. Nur seinetwegen wird noch einmal gewählt."

Nach Ansicht des Managers hat Netanjahu durchaus Positives in der Sicherheits- und Wirtschaftspolitik geleistet. "Aber wenn jemand so eine Last von krimineller Verantwortung auf seinem Rücken trägt, dann soll er zurücktreten und sich darum kümmern. Wenn er seine Unschuld bewiesen hat, dann kann er zurückkommen und hat dann vielleicht noch mehr Anhänger." Für ihn sei es "eine Frage der Moral, über die nicht nur vor Gericht entschieden wird", erklärt der Familienvater.

Seine Ministerämter legt der Premier nieder. Sonst hätte der Staatsanwalt ihn dazu gezwungen

Wenige Hundert Meter weiter werden vor der Balfour-Straße 6, der Residenz des Premierministers, ebenfalls Fahnen geschenkt. Hier haben sich vier Israelis im Rentneralter versammelt, die alle Gründe sehen, warum Netanjahu Premierminister bleiben sollte: "Weil er mit den Mächtigen der Welt verhandeln kann", sagt Naomi Dromi. "Er bietet Iran die Stirn, was gerade die Europäer nicht machen", findet David Klein. "Er ist für Israels Aufstieg zur Wirtschaftsmacht verantwortlich", ist Naom Hillel überzeugt, und Juli Dover erklärt: "Ohne ihn würden die Araber regieren." Alle vier sind überzeugt davon, dass Netanjahu am 26. Dezember in der rechtsnationalen Likud-Partei erneut zum Vorsitzenden gewählt wird, auch wenn er seit 14 Jahren erstmals in Gideon Saar einen Konkurrenten hat.

Am Donnerstag, dem Tag, nachdem um Mitternacht die letzte Frist zur Regierungsbildung aufgelaufen war, gab Netanjahu dem Obersten Gericht bekannt, dass er zum 1. Januar die Ministerien für Agrar, Soziales, Diaspora und Gesundheit abgeben werde, die er zusätzlich zum Premieramt übernommen hat. Das Gesetz verlangt: Ein Minister muss bei Anklageerhebung sein Amt aufgeben, ein Ministerpräsident erst nach einer Verurteilung. Netanjahu hat bisher mit der Rückgabe gewartet, obwohl die Anklagen seit 21. November bekannt sind. Er kam damit einer Aufforderung durch den Generalstaatsanwalt zuvor. Kurzfristig sagte Netanjahu nach Kritik anderer Parteien den ersten Wahlkampfauftritt ab, der ihn in eine Religionsschule führen sollte. Sie wird von dem Rabbiner Tzvi Tau geleitet, der auch die extreme Noam-Partei anführt, die gegen Homosexuelle auftritt. Netanjahu will Noam überzeugen, bei der Wahl nicht anzutreten, um Likud keine Stimmen wegzunehmen. Überraschend brach dann eine vom früheren Verteidigungsminister Avigdor Lieberman ausgelöste Debatte aus, ob Netanjahu der Gang vor Gericht erspart werden solle. Er würde einen Deal unterstützen, dass Netanjahu nicht ins Gefängnis müsse, wenn er dafür die Politik verlasse, erklärte Lieberman. Netanjahus Rivale vom blau-weißen Bündnis, Benny Gantz, verkündete in einer Fraktionssitzung, er werde darüber nachdenken. "Es wäre gut, das beschämende Bild eines Premierministers im Gefängnis zu verhindern", sagte Gantz.

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Quelle:
SZ vom 13.12.2019
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