Süddeutsche Zeitung

Israel:Charmanter Gesandter

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Der Oppositionspolitiker und Ex-Finanzminister Yair Lapid reist unermüdlich zu Israels Freunden. Er sieht sich als Hoffnungsträger - und als einzige Alternative zu Benjamin Netanjahu.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Müde ist er, der Tag in der Knesset war lang und die Hinterbank hart, doch einer wie er kennt keine Ruhe. Yair Lapid stürmt ins Café, die Ärmel hochgekrempelt, die Krawatte lässig auf Halbmast gebunden. Er bestellt sich ein Getränk, versichert sich noch schnell, dass ihn jeder gesehen hat, und ist gleich mittendrin in großen Plänen - wie der Nahost-Konflikt zu lösen ist, wie Israels Zukunft gesichert werden kann und, natürlich, wie er Premierminister wird: "Ich bin nicht der Einzige, der sagt, dass es bei der nächsten Wahl um Netanjahu oder mich geht."

Das ist, zumindest auf den ersten Blick, ein forscher Satz für einen Politiker, der bei der letzten Wahl im Frühjahr sein Amt als Finanzminister verloren hat. Seine im Zentrum angesiedelte Zukunftspartei sitzt nur noch mit elf Mandaten im 120-köpfigen Parlament. Selbst im Lager der Opposition ist sie nur die drittgrößte Kraft. Doch Größe ist nicht nur relativ, sondern in diesem Fall auch subjektiv, und ohne Zweifel ist der 52-jährige Lapid der Mann, der in der Opposition die wuchtigsten Wellen schlägt. Die Regierung flutet er mit Kritik, den nominellen Oppositionsführer Isaac Herzog von der Arbeitspartei ignoriert er mit Genuss. Und nicht nur im Inland zieht er alle Register, auch auf der internationalen Bühne präsentiert er sich gern als Gesandter eines anderen Israel. "Ich tue alles, was ich kann für mein Land, nicht für meine Regierung", sagt er.

Es gefällt ihm, wenn man ihn als "Schatten-Außenminister" bezeichnet; unermüdlich reist er im eigenen Auftrag zu Israels Freunden. Bei einem einwöchigen Besuch in Washington bekam er im Sommer so viel amerikanische Aufmerksamkeit, dass die Zeitungen daheim raunen durften, er sei behandelt worden "wie ein zukünftiger Premier". Im Gespräch lässt er locker einfließen, dass er "vor ein paar Tagen mit Bill Clinton zusammensaß", als der ehemalige US-Präsident zum 20. Jahrestag des Mordes an Jitzchak Rabin in Israel weilte. "Aber ich will hier kein Namedropping betreiben", fügt er der Bescheidenheit halber hinzu. In Paris und London war er auch schon - und nun steht Berlin auf dem Programm.

Für den Sohn eines Holocaust-Überlebenden ist das gewiss noch immer ein besonderes Pflaster. Zudem hatte Lapid noch von der Regierungsbank aus all jene nach Deutschland gezogenen jungen Israelis zur Ordnung gerufen, die bereit seien, "das einzige Land, das die Juden haben, wegzuwerfen, weil es sich in Berlin bequemer leben lässt". Nach viel Kritik bezeichnet er das heute als "Missverständnis", und auf die deutsche Politik gegenüber Israel lässt er ohnehin nichts kommen. "Das ist ein Lichtpunkt in einem sehr dunklen Tunnel", sagt er mit Blick auf eine "antiisraelische Stimmung", die er in anderen europäischen Ländern beobachtet.

Für vier Tage bis zum kommenden Montag beackert er nun die Bundeshauptstadt, hält eine Konferenzrede, nimmt Treffen im Bundestag und mit hochrangigen Experten für Außen- und Sicherheitspolitik wahr. "Wenn ich Regierungschef werden will bei der nächsten Wahl, dann brauche ich diese Netzwerke", sagt er.

Bei seinem Berlin-Besuch hat er auch einen Plan für einen Ausgleich in Nahost im Gepäck

Was er noch braucht, ist ein Plan, mit dem er sich von der Regierung Benjamin Netanjahus absetzen und im Ausland punkten kann. Diesen Plan für einen Ausgleich in Nahost hat er nun auch in Berlin im Gepäck. Von "Frieden" spricht er nicht, daran glaubt in Israel ohnehin kaum noch einer. Ihm geht es vielmehr um seine saubere "Trennung", die im Interesse beider Seiten liege. "Aber bilaterale Gespräche zwischen Israelis und Palästinensern führen nirgendwohin", argumentiert er, "das haben elf fehlgeschlagene Runden seit den Osloer Verträgen gezeigt." Deshalb will er nun die saudische Friedensinitiative aufgreifen, die Israel im Gegenzug für die Gründung eines Palästinenser-Staats eine Anerkennung durch die arabische Welt in Aussicht stellt. Als ersten Schritt schlägt er eine "regionale Gipfelkonferenz" vor.

Das kommt gut an im Ausland. "Alle hungern doch nach neuen Ideen", weiß Lapid. Obendrein sind viele froh, wenn sich einer als Alternative anbietet zu Netanjahu, der es sich durch seine Zickzack-Politik mit vielen Freunden Israels verdorben hat, angefangen bei US-Präsident Barack Obama. Wenn die neue Hoffnung dann noch so eloquent und charmant daherkommt wie Yair Lapid, dann öffnen sich schnell die Türen. In der Politik muss er zwar immer noch als Novize gelten, aber als Menschenfischer kann er auf eine lange Karriere zurückblicken. Bevor er 2012 seine eigene Partei gründete, war er einer der bekanntesten Journalisten Israels - Moderator der meist geschauten TV-Nachrichtensendung und Kolumnist beim Massenblatt Jedioth Achronoth. Mehrmals war er zum attraktivsten Mann Israels gewählt worden, obendrein feierte er Erfolge als Sänger und Schauspieler, schrieb Thriller, Kinderbücher und Theaterstücke. Und das alles ohne Schulabschluss.

Glücklich war auch sein Einstieg in die Politik. Aus dem Stand wurde Lapids Zukunftspartei bei ihrem ersten Wahlantritt 2013 mit 19 Mandaten zur zweitstärksten Kraft. Als Finanzminister jedoch hat er viele enttäuscht. Statt der versprochenen sozialen Verbesserungen lieferte er Sparprogramme ab. "Ich habe ein Desaster vorgefunden", erklärt er, "schon drei Wochen nach Amtsantritt habe ich meinem Team gesagt, das wird ein Albtraum." Die Quittung kam bei der Neuwahl 2015 mit dem Absturz auf elf Sitze. Seitdem redet Lapid nicht mehr so gerne über Soziales, sondern lieber über Sicherheit. Denn das ist immer noch das einzige Thema, mit dem sich Wahlen gewinnen lassen in Israel.

Regulär steht die nächste Parlamentswahl erst 2019 an, doch Lapid geht fest davon aus, dass die Regierung schon vorher kollabiert. "Sie hat nur eine Mehrheit von 61 zu 59 Stimmen und ist obendrein auf Crashkurs mit der internationalen Gemeinschaft", erklärt er. "Ich bin sicher, dass schon nächstes Jahr wieder gewählt wird." Um bereit zu sein, hat er sich in der politischen Mitte platziert. Er predigt Patriotismus und setzt auf Pragmatismus. Chancen hat er nur, wenn er eine möglichst große Koalition schmieden kann. In deren Zentrum soll seine Partei stehen, "Yesch Atid" heißt sie, übersetzt: Es gibt eine Zukunft. Yair Lapid ist ziemlich überzeugt davon, dass diese Zukunft ihm gehört.

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Quelle:
SZ vom 06.11.2015
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