Süddeutsche Zeitung

Israel:Arbeitspartei hofft auf Macron-Effekt

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Nach nur achtmontiger Mitgliedschaft steigt der Newcomer Avi Gabbai zum Chef der traditionsreichen Arbeitspartei auf. Er soll ihren Niedergang aufhalten.

Von Moritz Baumstieger, München

Nach nicht einmal acht Monaten Mitgliedschaft in einer Partei deren Vorsitzender zu werden, das kann man sportlich nennen. Der Israeli Avi Gabbai hat das in der Nacht zum Dienstag geschafft, in einer Stichwahl besiegte der Außenseiter überraschend den ehemaligen Verteidigungsminister Amir Peretz. Dass Gabbai der Coup gelingen konnte, in einer Urabstimmung 52 Prozent der Parteibasis für sich einzunehmen, liegt zum einen sicher daran, dass sich die Mitglieder der sozialdemokratischen Awoda nach einem neuen Aufbruch sehnen: Die einst stolze Regierungspartei von Jitzchak Rabin und Schimon Peres hat einen langen Niedergang hinter sich, bei der letzten Parlamentswahl 2015 trat sie gar auf einer gemeinsamen Liste mit anderen Parteien an, um überhaupt eine Chance zu haben.

Die Hoffnungen auf einen Neustart schien Avi Gabbai eher zu verkörpern als der altgediente Peretz. Einige Medien in Israel nennen den 50-Jährigen bereits "Israels Macron" und tatsächlich pflegt Gabbai das Image eines Quereinsteigers, der unabhängig von den Ränkespielen des immer selben Politikpersonals agiert. Viel lieber erzählt der Geschäftsmann seine Aufstiegsgeschichte: Der Weg des Sohnes von jüdischen Einwanderern aus Marokko führte immer bergauf, aus einer Immigranten-Unterkunft in Jerusalem über eine Eliteeinheit der Armee bis ins Chefbüro des israelischen Telekommunikationsriesen Bezeq.

Gänzlich unbelastet ist Gabbai in politischen Dingen aber nicht: Vor zwei Jahren schloss er sich der neu gegründeten Partei Kulanu an und wurde für kurze Zeit Umweltminister der Regierung von Premierminister Benjamin Netanjahu - er diente also dem Mann, den er nun entthronen soll. Im Mai 2016 verließ Gabbai jedoch bereits wieder das Kabinett, im Dezember vergangenen Jahres dann überraschte er Freund und Feind, als er seinen Eintritt in die Arbeitspartei bekannt gab. Gabbai selbst begründet seinen Wandel von einem Politiker der Mitte-rechts-Partei Kulanu zu einem Sozialdemokraten politisch: Die Regierung von Netanjahu, der einer Zweistaatenlösung im Nahostkonflikt skeptisch gegenüber steht, habe er wegen seiner Prinzipien verlassen. "Politisch bin ich bei Rabin", behauptet Gabbai jetzt - also bei dem Mann, der wegen seiner Vision eines unabhängigen Palästinenserstaates von Radikalen erschossen wurde.

Ein Teil der Arbeitspartei zweifelt an dieser Einsicht, sie vermuten hinter Gabbais Wechsel persönliche Ambitionen. Darin stimmen sie mit einem Aktivisten aus Gabbais alter Partei überein: "Als Avi im Alter von 40 eine Midlifekrise hatte, begann er, Marathon zu laufen", sagte der Mann der Zeitung Haaretz. "Und als er nun mit 50 eine weitere Krise hatte, beschloss er, ins Rennen um das Amt des Premierministers einzusteigen."

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Quelle:
SZ vom 12.07.2017
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