Süddeutsche Zeitung

Iran:Verharmlost, verleugnet, vertuscht

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Der nachlässige Umgang des Regimes in Teheran mit dem Virus könnte verheerende Folgen in der gesamten Region haben.

Von Paul-Anton Krüger

Angst, Sorge, Zweifel und Misstrauen zwischen den Menschen seien ein Virus, das schlimmer sei als Corona, so hat es Irans Präsident Hassan Rohani am Mittwoch auf einer Kabinettssitzung formuliert. Es gelte zu verhindern, dass die Situation im Land "zu einer Waffe in den Händen der Feinde" werde", die nun mit Panikmache zu erreichen versuchten, was sie mit Sanktionen nicht geschafft hätten: Irans Wirtschaft lahmzulegen. Tatsächlich aber schürt Misstrauen vor allem der Umgang des Regimes mit dem Corona-Ausbruch, der sich von Iran ausgehend zur Pandemie im Nahen Osten und Südasien auswachsen könnte.

Teherans Krisenmanager, Vize-Gesundheitsminister Iraj Harirchi, hatte am Montag noch bei eine Pressekonferenz schwitzend und hustend versichert, die Regierung habe alles im Griff. Am Dienstag postete er dann ein Video von sich selbst, in dem er erklärt, sich angesteckt zu haben. Während Harirchi sagt, er habe sich selbst isoliert, lehnt die Regierung Reiseeinschränkungen oder Quarantänemaßnahmen weiter ab. Die Fallzahlen indes steigen, selbst nach offiziellen Angaben.

Iran beklagt die meisten Opfer außerhalb von China

Der Sprecher des Gesundheitsministeriums vermeldete am Mittwoch insgesamt 139 Infektionen, die Zahl der Toten sei auf 19 gestiegen. Iran beklagt damit die meisten Opfer außerhalb Chinas. Experten jedoch fürchten, dass die Angaben der Regierung viel zu niedrig sind. In Afghanistan, Irak, Libanon, Bahrain, Kuwait, Oman und den Vereinigten Arabischen Emiraten sind insgesamt inzwischen Dutzende Menschen positiv getestet worden, die zuvor in Iran gewesen waren. Kanadische Wissenschaftler haben aufgrund statistischer Modelle errechnet, dass die Zahl der Infektionen in Iran im besten Fall bei 1800 liegen dürfte, wahrscheinlich aber eher bei 18 000. Die Tatsache, dass in Nachbarländern die Kapazität der Gesundheitssysteme zur Bewältigung von Epidemien geringer sei, mache Unterstützung für die Region dringend erforderlich. Viele Fälle würden vermutlich unentdeckt bleiben.

In Afghanistan ist erst eine Infektion in der Provinz Herat bestätigt. Der Betroffene war in Qom gewesen, geistliches Zentrum Irans und mit dem Schrein der Fatima Masumeh wichtiges Pilgerziel für Schiiten. Qom ist aber auch der Ausgangspunkt der Epidemie in Iran. Ein Abgeordneter aus der Stadt hatte der Regierung vorgeworfen, über Wochen den Ausbruch und das Ausmaß vertuscht zu haben, bis sie vergangenen Mittwoch zwei Todesfälle einräumte - zwei Tage vor der Parlamentswahl, die wie geplant abgehalten wurde.

Alleine aus Afghanistan waren seit Anfang des Jahres Zehntausende Schiiten nach Qom gepilgert. Im Irak war bei einem Studenten die Infektion nachgewiesen worden, der zuvor in Qom gewesen war. Am Mittwochabend untersagte die Regierung in Bagdad alle öffentlichen Versammlungen. Zudem sollen Schulen, Universitäten, Kinos, Clubs, Kaffeehäuser und weitere öffentliche Einrichtungen landesweit bis zum 7.

März geschlossen bleiben. Der Corona-Ausbruch rufe den schlechten Zustand der Gesundheitssysteme in Ländern wie dem Irak und Syrien in Erinnerung, die unter Kriegen gelitten hätten und unter der Vernachlässigung durch die Regierungen, sagte der Soziologe Adam Coutts von der Universität Cambridge, der zu den Gesundheitssystemen in der Region forscht. Der Zugang zu Gesundheitsversorgung etwa in Libanon sei teuer - und vielen Menschen nicht möglich. Besonders gefährdet seien Millionen Flüchtlinge und Binnenvertriebene in der Region. Sie lebten meist unter schlechten hygienischen Bedingungen.

Amerikas Seuchenbehörde sieht zwei von drei Kriterien für eine Pandemie als erfüllt an

Der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, nannte den Anstieg der Infektionen außerhalb Chinas "sehr besorgniserregend". Eine WHO-Mission nach Iran soll es aber erst am Samstag geben; sie war bereits für Dienstag geplant gewesen. Er warnte davor, leichtfertig von einer Pandemie zu sprechen. Dagegen hatte Anne Schuchat, Vize-Chefin der US-Seuchenbehörde CDC, zuvor gesagt, die derzeitigen globalen Umstände ließen vermuten, dass es zu einer weltumspannenden Pandemie kommen könne. Zwei von drei Kriterien sehen die US-Behörden als erfüllt an: Erkrankungen und resultierende Todesfälle sowie Ansteckungen zwischen Menschen. Das dritte Kriterium, ein globales Auftreten, rückt näher, nachdem in Brasilien der erste Fall in Südamerika und in Algerien und Ägypten zwei Infektionen in Afrika gemeldet sind.

Afrika gilt besondere Sorge, weil auf dem Kontinent viele Länder einer Epidemie nicht gewachsen sein dürften. Die WHO warnte, das Fenster, das Afrika zur Vorbereitung habe, schließe sich. "Alle Länder müssen ihre Vorbereitungsmaßnahmen beschleunigen", sagte der Regionaldirektor für Afrika, Matshidiso Moeti. Die Organisation will Experten nach Algerien schicken. Der Infizierte dort soll am 17. Februar aus Italien eingereist sein.

Laut einer Studie im Fachblatt Lancet besteht außer in Algerien in Südafrika und Ägypten ein hohes Risiko für ein Auftreten des Virus. Diese Länder seien wirtschaftlich eng mit China verbunden, aber auch vergleichsweise gut vorbereitet. Die Gefahr einer Ausbreitung von Covid-19 in Nigeria und Äthiopien sei geringer, dafür seien diese Länder weniger gut vorbereitet und anfälliger. Ethiopian Airlines fliegt nach eigenen Angaben wöchentlich mit 35 Flügen fünf chinesische Städte an. Laut der WHO sind nur in 21 der 47 Länder in Afrika überhaupt Tests möglich zum Nachweis des Virus.

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SZ vom 27.02.2020
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