Süddeutsche Zeitung

Abschuss von Flug PS752:Irans Inkompetenz ist der Grund für die Tragödie

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Das Land hätte seinen Luftraum schließen müssen, wenn es Angriffe der USA erwartete. Die beiden Staaten müssen intensiv daran arbeiten, die Situation am Golf zu entschärfen - und Europa braucht endlich eine Strategie für den Nahen Osten.

Kommentar von Paul-Anton Krüger

Die Erleichterung ist dem Entsetzen gewichen. Der militärische Schlagabtausch zwischen den USA und Iran artet zwar vorerst nicht in einen offenen Krieg aus. Doch hat Iran eingestanden, wenige Stunden nach dem Vergeltungsschlag der Revolutionsgarden auf zwei von den USA genutzte Stützpunkte im Irak ein ukrainisches Passagierflugzeug abgeschossen zu haben. Vorfälle aus der Vergangenheit, wie der Abschuss von Malaysia Airlines Flug 17 über der Ostukraine 2014 durch eine russische Einheit oder von Iran Air Flug 655 über dem Persischen Golf durch den US-Lenkwaffen-Kreuzer Vincennes 1988, sind tragische Zeugnisse dafür, dass militärische Spannungen solche fatalen Fehler wahrscheinlich machen.

In allen drei Fällen standen die Parteien nicht in einem erklärten Krieg, war der Luftraum trotz militärischer Auseinandersetzungen nicht gesperrt, versagten Menschen. Auch in Iran gab es tödliche Fehleinschätzungen, nicht nur von Soldaten. Die Verantwortung trägt das Regime: die Inkompetenz der Revolutionsgarden und der Behörden sind die Ursache des Absturzes, nicht "Amerikas Abenteurertum", wie Außenminister Mohammad Dschawad Sarif twittert, um das Versagen zu relativieren. Iran hat die Raketen auf Irak gefeuert, Iran hätte seinen Luftraum für zivile Flugzeuge schließen müssen, wenn das Regime Vergeltungsschläge erwartete.

Und den Revolutionsgarden wird nicht entgangen sein, dass ihre Luftabwehrbatterie neben Irans größtem Verkehrsflughafen stand, den das Land einfach weiterbetrieb, als sei nichts gewesen. Dennoch wäre zu hoffen, dass der Absturz dazu führt, dass das Regime und die US-Regierung intensiv daran arbeiten, die Situation am Golf zu entschärfen. Sonderlich groß ist die Wahrscheinlichkeit freilich nicht. Iran hat zwar erklärt, die militärische Vergeltung für die Tötung von Revolutionsgarden-General Qassim Soleimani sei abgeschlossen. Zugleich aber bekräftigt der Oberste Führer Ayatollah Ali Chamenei, Soleimanis Mission zu Ende zu führen und die Amerikaner aus der Region vertreiben zu wollen. Iran wird dieses Projekt politisch vorantreiben, aber zweifellos auch die asymmetrische Kriegsführung gegen die USA fortsetzen, die Soleimani entwickelt hat. Irans Führung denkt in dieser Frage in langen Zeiträumen, nicht in den Wahlzyklen westlicher Demokratien - und erblickt in Amerikas Ermüdung im Nahen Osten eine historische Gelegenheit.

US-Präsident Donald Trump hat in den vergangenen sechs Monaten 15 000 zusätzliche US-Soldaten in die Region geschickt. Amerikas Verbündete dringen darauf, dass die einstige Ordnungsmacht den Nahen Osten nicht dem freien Spiel der Kräfte überlässt. Doch Trump will eigentlich von dort abziehen, wie schon sein Vorgänger Barack Obama. Vom Öl am Golf ist Amerika längst nicht mehr abhängig. Trump sieht nun mehr denn je die Nato und die Europäer in der Pflicht.

Europa allerdings könnte bei einem raschen Rückzug der USA derzeit nicht einmal die Mission zum Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im Irak aufrechterhalten - was trotz des Abzugsvotums des irakischen Parlaments die Kurden, viele Sunniten und auch einige Schiiten befürworten. Ein Auseinanderbrechen des Irak oder ein neuer Bürgerkrieg würde sich direkt auf Europa auswirken, ebenso ein Wiedererstarken des IS. Das Gleiche gilt für eine neue Offensive des syrischen Regimes auf die Provinz Idlib mit iranischer und russischer Unterstützung oder für einen monatelangen Häuserkampf in der libyschen Hauptstadt Tripolis. Die Fluchtbewegungen werden sich nicht auf den Nahen Osten oder Nordafrika beschränken lassen, allen Beschwörungen des Schutzes der EU-Außengrenzen zum Trotz. Und auch die Dschihadisten werden Europa wieder ins Visier nehmen.

Europa fehlt es an schlüssigen Ideen

Das Mantra deutscher und europäischer Diplomaten, dass es keine militärische Lösung für all diese Konflikte gibt, ist in gewisser Weise richtig. Stabilität oder dauerhaften Frieden vermögen militärische Mittel nicht herbeizuführen. Geeignet sind sie aber, um die Kräfteverhältnisse entscheidend zu verändern - und die Parameter einer politischen Beilegung von Konflikten vorzubestimmen. So redet niemand mehr von der Ablösung Assads in Syrien, seit Russland und Iran dem Regime beigesprungen sind.

In Libyen versuchen die Bundesregierung und die EU, mit hektischer Diplomatie den neuen Bürgerkrieg zu beenden, der zugleich ein Stellvertreterkrieg konkurrierender Regionalstaaten ist. Jahrelang hat Europa zugesehen, wie sich die Lage verschlechtert hat - selbst als die Emirate moderne Luftabwehrsysteme an den Kriegsherrn Khalifa Haftar lieferten.

Dynamik erzeugt nun aber nicht etwa die Diplomatie, sondern das Eingreifen Russlands und die Intervention der Türkei. Deren Präsidenten, Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdoğan, verhandeln, wie schon in Syrien, über eine Waffenruhe. Ins Spiel gebracht haben sie sich über die Entsendung von Söldnern, durchaus ähnlich Soleimanis Milizen-Modell.

Zwar wird auch in Deutschland gerade mit Blick auf das Gebaren von US-Präsident Donald Trump gerne gefordert, Europa müsse strategische Autonomie erlangen. Doch bisher haben die Europäer keine schlüssigen politischen Ideen entwickelt, um mit den neuen Formen irregulärer Konflikte und Kriegsführung in ihrer Nachbarschaft umzugehen - und schon gar nicht die Fähigkeiten, eine solche Strategie auch militärisch abzustützen. Natürlich können sich die Staaten der EU nicht derselben Methoden bedienen wie Putin oder Erdoğan. Doch allein mit Appellen und dem Festhalten am Atomabkommen mit Iran werden die Europäer nicht viel erreichen, noch weniger mit einem überhasteten Abzug aus dem Irak. Mit den Folgen der Krisen im Nahen Osten aber werden sie sich konfrontiert sehen, ob sie darauf Einfluss nehmen oder nicht. Das ist keine Frage der Politik, sondern der Geografie.

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SZ vom 11.01.2020
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