Süddeutsche Zeitung

Proteste in Hongkong:Die deutsche Wirtschaft muss Stellung beziehen

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Die Lage in Hongkong droht zu eskalieren. Einheimische Geschäftsleute fürchten langfristige Folgen für die Wirtschaft. Und deutsche Unternehmen? Die positionieren sich lieber nicht allzu deutlich.

Kommentar von Lea Deuber

Ein Hongkonger Geschäftsmann, Li Ka-shing, hat am Freitag auf den Titelseiten von Lokalzeitungen in Hongkong den Teil eines chinesischen Gedichts veröffentlicht. Es sind die Zeilen eines Kaisersohns aus der Tang-Dynastie, der seine Mutter bittet, nicht ihre Kinder für ihren eigenen Machterhalt zu opfern.

Unklar ist, an welche Seite der Geschäftsmann in dem Konflikt appelliert. Möglicherweise sind die Demonstranten gemeint. Die Proteste gegen ein geplantes Auslieferungsabkommen und die massive Polizeigewalt sind in den vergangenen Wochen eskaliert. Ein Großteil der Hongkonger demonstriert friedlich. Immer mehr Teilnehmer bei den Demonstrationen sind aber auch gewaltbereit. Je gewaltsamer die Proteste, desto größer die Gefahr, die Unterstützung für ihre Forderungen in der Bevölkerung und im Ausland zu verlieren. Bilder der Unruhen schaden zudem der Stadt. Viele fürchten, die Krawalle könnten den Standort langfristig schwächen. Die besten Absichten können die schlimmsten Folgen haben, heißt es in einer zweiten Anzeige von Hongkongs reichstem Mann.

Hongong ist ein beliebter und wichtiger Wirtschaftsstandort

Vielleicht fühlt sich aber auch Peking durch das Gedicht gemeint. Hongkong war in den vergangenen Jahren für das Regime unheimlich praktisch. Internationale Firmen ziehen lieber nach Hongkong als nach Festlandchina. Die Partei ist durch ihren Machthunger daran gescheitert, die Rechtsstaatlichkeit im eigenen Land zu stärken. Hongkong ermöglichte, die Reformen weiter zu verschleppen. Auch für chinesische Firmen war die Sonderverwaltungszone damit ein wichtiger Standort, um das Vertrauen internationaler Partner zu gewinnen. Würde Peking die Einsatzkräfte, die es bereits an der Grenze zu Hongkong stationiert hat, in die chinesische Sonderverwaltungszone schicken, wäre die Stadt über Nacht wirtschaftlich tot. Profiteur wäre Singapur. Kosten für China: unkalkulierbar.

Für Peking könnten die Früchte, die keine weitere Ernte vertragen, wie es in dem Gedicht heißt, auch die politischen Maßnahmen der vergangenen Jahre sein. Systematisch und unter der Oberfläche hat es seinen Einfluss in der Stadt ausgeweitet, den Druck auf Andersdenkende erhöht und viele Freiheiten der Hongkonger eingeschränkt. Ist das Regime zu ungeduldig und schlägt zu, bevor die Stadt komplett ausgeblutet und jeglicher Widerstand gebrochen ist, könnte die Lage weiter eskalieren. Die aggressiven Angriffe auf die Grundrechte der Bevölkerung sind Mitgrund für die Proteste in der Stadt. Eine militärische Lösung dürfte wirtschaftliche Sanktionen nach sich ziehen. Vielleicht liest Peking aus den Zeilen einen Aufruf zu mehr Geduld.

Die deutsche Wirtschaft drückt sich um eine klare Positionierung

Neben dem rätselhaften Aufruf des Hongkonger Tycoons wäre längst auch ein klares Auftreten der deutschen Wirtschaft in der Stadt nötig. Weder die wachsenden Eingriffe noch die Massenproteste mit bis zu zwei Millionen Teilnehmern haben bisher zu einem Umdenken geführt. Erst nachdem der Flugverkehr durch die Proteste für zwei Tage eingeschränkt war, rang man sich diese Woche zu einem halben Statement durch. Im Hintergrund verbieten deutsche Firmen ihren Mitarbeitern, an den Protesten teilzunehmen. Jedes Wort wird abgewogen, die Bundesregierung um leise Töne angefleht. Auch an solche schnöde Gier können sich Lis Worte richten.

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Quelle:
SZ vom 17.08.2019
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