Süddeutsche Zeitung

Hongkong:Gewalt in Hongkong

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Tränengas und Molotowcocktails: Die Proteste eskalieren.

Von Christoph Giesen, Peking

Es ist schwer, noch den Überblick zu behalten am Mittwochabend in Hongkong: Molotowcocktails, die in den Cross-Harbour-Tunnel geworfen werden, der Hongkong Island mit Kowloon verbindet. Scharmützel zwischen der Polizei und vermummten Demonstranten auf der Nathan Road. Ausschreitungen in Mong Kok. Tränengas in Sheung Shui, Feuer am Gerichtsgebäude in Sha Tin. Und auch auf dem Campus der Chinese University versammeln sich wieder Demonstranten und bauen Barrikaden.

Hongkong erlebt die gewaltsamsten Tage seit Beginn der regierungskritischen Proteste vor mehr als fünf Monaten. Schon am Morgen musste der Betrieb in zahlreichen U-Bahn-Stationen der Finanzmetropole eingestellt werden, weil Demonstranten im Berufsverkehr die Züge an der Weiterfahrt hinderten. Auch Straßenkreuzungen wurden von den Protestierenden blockiert. Die Behinderungen sorgten dafür, dass viele Menschen zu spät zur Arbeit kamen.

Mindestens 80 Studenten aus China verließen am Mittwoch die ehemalige britische Kronkolonie, weil sie fürchteten, ins Visier der Demonstranten zu geraten. Viele von ihnen wurden mit einem Schiff evakuiert und in die Grenzstadt Shenzhen gebracht, weil etliche Straßen in Hongkong blockiert waren. Die Behörden in China stellten ihnen kostenlose Unterkünfte zur Verfügung.

Auch eine dänische Universität legte ihren für Auslandssemester in Hongkong lebenden Studenten die Rückreise nach Dänemark nahe. Die Hochschule habe sich zu dem Aufruf entschlossen, nachdem sie Berichte gesehen habe, wonach Studierende ihre Wohnheime verlassen mussten, weil diese in Brand gesetzt worden seien, sagte der Rektor der Technischen Universität Dänemarks am Mittwoch. Es handele sich um eine Empfehlung für die 36 Gaststudenten in Hongkong, keine Zwangsmaßnahme.

Am Dienstag war der Campus der Chinese University zur Kampfzone geworden. Die Ausschreitungen dauerten bis zum späten Abend an. Studenten errichteten Barrikaden und warfen Brandsätze. Die Polizei feuerte Gummigeschosse und Tränengas. Auch ein Wasserwerfer wurde gegen die Studenten eingesetzt.

Bisher wurde an Wochenenden demonstriert, nun soll die Stadt an Arbeitstagen stillgelegt werden

Wie die Behörden am Mittwoch mitteilten, nahm die Polizei auf dem Campus insgesamt 142 Demonstranten fest. Zehn Menschen wurden mit Verletzungen in Krankenhäuser gebracht. Am Abend kündigte die Hochschule dann an, Vorlesungen und Seminare für den Rest des Semesters, das planmäßig in zwei Wochen enden sollte, auszusetzen. Andere Universitäten in Hongkong stellten den Lehrbetrieb zumindest bis zum Ende der Woche ein und wollen Lehrveranstaltungen durch Online-Vorlesungen ersetzen.

Im Internet kursierten unterdessen Aufrufe, mit anhaltenden Blockaden an Arbeitstagen die Stadt zum Erliegen zu bringen und so den Druck auf die Regierung weiter zu erhöhen. Zuvor hatten sich die Proteste vor allem auf die Wochenenden konzentriert.

Die Demonstrationen in der chinesischen Sonderverwaltungsregion richten sich gegen die Hongkonger Regierung. Anfangs ging es um ein umstrittenenden Gesetz, das Auslieferungen in die Volksrepublik China ermöglicht hätte. Inzwischen hat die Regierung das Gesetz zwar kassiert, der Protest der Hongkonger hat sich jedoch ausgeweitet, und zielt nun gegen den wachsenden Einfluss Chinas auf die ehemalige Kronkolonie.

Seit der Übergabe an China 1997 wird Hongkong nach dem Grundsatz "ein Land, zwei Systeme" autonom regiert. Die Demonstranten fordern freie Wahlen, eine unabhängige Untersuchung von Polizeigewalt während der vergangenen Monate sowie Straffreiheit für die bereits weit mehr als 4000 Festgenommenen. Auch der Rücktritt von Regierungschefin Carrie Lam gehört zu ihren formulierten Zielen.

Peking forderte wiederum die Hongkonger Regierung dazu auf, härter durchzugreifen und die Proteste zu beenden. Die Stadt sei dabei, "in den Abgrund des Terrorismus zu rutschen", hieß es in einer Mitteilung des Verbindungsbüro der chinesischen Regierung in Hongkong.

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Quelle:
SZ vom 14.11.2019
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