Süddeutsche Zeitung

Hongkong:Erosion der Freiheit

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Der Prozess gegen die Gründer der Occupy-Central-Bewegung in Hongkong beginnt - den drei Angeklagten drohen lange Haftstrafen.

Von Lea Deuber, München

"Ich bin bereit, ins Gefängnis zu gehen." Mit diesen Worten hat Chan Kin-man am Mittwoch seine letzte Vorlesung an der Chinesischen Universität in Hongkong beendet. Ab Montag steht der Soziologieprofessor für seine Rolle in den pro-demokratischen Massenprotesten vor vier Jahren in Hongkong vor Gericht. Chan, der Juraprofessor Benny Tai und der Geistliche Chu Yiu-ming, bekannt als "das Trio", sind die Gründer der so genannten Occupy-Central-Bewegung. 2014 waren Hunderttausende Hongkonger ihrem Protestaufruf gefolgt, nachdem Peking den Bürgern der Sonderverwaltungszone zwar die Wahl ihres Verwaltungschefs zugebilligt hatte, aber sich die Auswahl der Kandidaten vorbehielt. Die Demonstranten besetzten daraufhin für mehr als zweieinhalb Monate das Geschäftsviertel Central in der Innenstadt der Metropole. Die Regenschirme, die Demonstranten zum Schutz gegen das Tränengas der Polizisten einsetzten, wurden zum Symbol des Widerstands.

Insgesamt neun Aktivisten stehen von dieser Woche an vor Gericht. Ihnen wird die Erregung öffentlichen Ärgernisses sowie Verschwörung und Anstiftung zu öffentlichem Ärgernis vorgeworfen. Den Angeklagten drohen pro Anklagepunkt bis zu sieben Jahre Haft. Alle Beschuldigten haben auf nicht schuldig plädiert.

Die Verhandlungen könnten Vorbild für viele hundert weitere Fälle sein

Viele Beobachter hatten zunächst mit einem Prozess aufgrund eines Verstoßes gegen das Versammlungsrecht gerechnet. Die jetzigen Vorwürfe gelten als schwerwiegender, weil diese als Vorbild für Prozesse gegen viele Hundert weitere Aktivisten dienen könnten. Seit Ende der durch die Polizei aufgelösten Proteste haben die Hongkonger Behörden 40 Verfahren gegen mehr als 100 Protestierende eingeleitet, darunter mehr als zwei Dutzend pro-demokratische Aktivisten.

Die ehemalige britische Kolonie gehört seit 1997 offiziell zur Volksrepublik China. Vor der Rückgabe hatte Großbritannien Bedingungen für die Entwicklung in der ostasiatischen Stadt mit Peking ausgehandelt. Deshalb hat Hongkong unter der Formel "ein Land, zwei Systeme" ein eigenes Parlament und eine unabhängige Justiz. Grundrechte wie die Meinungs- und die Pressefreiheit, die den chinesischen Bürgern verwehrt bleiben, gelten in Hongkong - offiziell.

Seit die Briten abgezogen sind, übt die Zentralregierung aber zunehmend Druck auf die Behörden in der Sonderverwaltungszone aus. Dazu gehöre "die anhaltende Strafverfolgung" der Aktivsten, kritisierte die Menschenrechtsorganisation Amnesty Anfang des Monats. Diese hätte eine "abschreckende Wirkung" auf die Meinungsfreiheit. Im Sommer 2017 entzog das Strafgericht vier gewählten Abgeordneten des demokratischen Lagers ihr Mandat. Kurz darauf verurteilte ein Gericht den aus dem Parlament geworfenen Nathan Law sowie Joshua Wong und Alex Chow wegen ihrer Beteiligung an den Demonstrationen zu mehrmonatigen Haftstrafen. Später revidierte ein Gericht dieses Urteil wieder.

Kritik hatte im Oktober zudem die Entscheidung hervorgerufen, dem britischen Journalisten Victor Mallet die Arbeitsgenehmigung zu entziehen. Der Asien-Korrespondent der Financial Times hatte als Vizepräsident des Auslandskorrespondentenclubs FCC in Hongkong eine Diskussion mit dem China-kritischen Parteichef der inzwischen verbotenen Hong Kong National Party organisiert. Bei der Feier zum 20. Jahrestag der Rückgabe Hongkongs im vergangenen Jahr hatte Chinas Präsident Xi Jinping die Forderungen nach der Souveränität der Stadt als eine "rote Linie" bezeichnet.

Chan Kin-man hat vor dem Prozess seinen vorzeitigen Ruhestand beantragt, um bei einer Verurteilung nicht von der Universität entlassen zu werden. Die Vorlesung am Mittwoch nutzte er, um die rund 600 Zuhörer zu ermutigen. "Ja, wir müssen möglicherweise ins Gefängnis", sagte Chan in Anwesenheit von Benny Tai und Chu Yiu-ming. Wichtig sei, den Protest friedlich weiterzuführen: "Wenn wir uns nicht von dem Verfahren oder der Haft zerstören lassen, dann werden wir daraus gestärkt hervorgehen."

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Quelle:
SZ vom 19.11.2018
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