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Stichwahl in Guatemala:Eine Slapstick-Komödie wird Realität

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Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Als Jimmy Morales seiner Mutter sagte, dass er Präsident von Guatemala werden wolle, antwortete sie: "Präsident? Ich glaube nicht an Diebe. Ich habe ehrliche Männer großgezogen." So erzählt es jedenfalls Morales. Er kann gut erzählen, von Berufswegen ist er Fernsehkomiker.

Diese kleine Geschichte erzählt wiederum viel über die Stimmung in Guatemala. Alle Politiker sind korrupt, dieser Satz ist in der größten Volkswirtschaft Mittelamerikas allemal mehrheitsfähig. Der erstaunliche Erfolg des Präsidentschaftskandidaten Jimmy Morales, 46, gründet sich darauf, dass er mit dieser Stimmung zu spielen weiß. Er behauptet einfach, er sei gar kein Politiker. Das ist sein zentrales Wahlversprechen. Und das reicht vermutlich zum Sieg bei der Stichwahl am Sonntag.

Morales ist auch als Schauspieler bekannt, er hat mehrere Kinofilme gedreht. Vor einigen Jahren spielte er ein Landei mit Schnäuzer und Cowboyhut, das aufgrund einer Verkettung von bizarren Umständen plötzlich Präsident von Guatemala wird. Es war eine Slapstick-Komödie. Die wieder-holt sich jetzt in der Realität - wenn bis Sonntag nicht ein Wunder geschieht. Laut einer Meinungsumfrage der Zeitung Prensa Libre hat Morales mehr als 30 Prozentpunkte Vorsprung vor seiner Konkurrentin, der früheren First Lady Sandra Torres.

Noch Anfang September hielten ihn alle Analytiker für chancenlos. Es waren jene Tage, als Guatemala seine Sternstunden der Demokratie erlebte. Der scheidende Präsident Otto Pérez Molina, ein durch und durch korrupter ehemaliger General, bereitete sich gerade auf einen geruhsamen Ruhestand in ewiger Immunität vor. Wenige Tage vor der ersten Wahlrunde wurde Pérez aber doch noch aus dem Amt gefegt, von einem aufgebrachten Volk und von ernsthaft ermittelnden Staatsanwälten, mit Unterstützung der UN-Kommission gegen Straflosigkeit. Pérez Molina sitzt derzeit in Untersuchungshaft und wartet auf seinen Prozess.

Morales inszeniert sich als antielitär

Morales aber, der erklärte Antipolitiker, ist in diesen bewegten Septembertagen vom Außenseiter zum Favoriten aufgestiegen. Schon die erste Wahlrunde gewann er deutlich. Der Multimillionär Manuel Baldizón, der lange Zeit wie der sichere Sieger ausgesehen hatte, schaffte es nicht einmal in die Stichwahl. Als Vertreter der alten Eliten hatte er plötzlich keine Chance mehr. So die gängige Interpretation.

Nun also Morales, der sich als antielitär inszeniert. Der offen damit kokettiert, kein politisches Programm, aber dafür sehr gute Berater zu haben. Und der damit wohl durchkommt, obwohl er keineswegs der unpolitische Spaßvogel ist, den er einst im Kino verkörperte. Für einen demokratischen Neuanfang steht er jedenfalls nicht. Im Gegenteil. Er kandidiert auf dem Ticket einer Partei namens "Front der Nationalen Konvergenz" (FCN). Dahinter stecken ehemalige Militärs, die während des Bürgerkriegs von 1960 bis 1996 Massaker verübt haben, vor allem an der indigenen Maya-Bevölkerung. Morales mag kein Politiker sein, aber das heißt noch lange nicht, dass er keine politische Klasse repräsentiert. Er nennt sich konservativ. Ultrarechts trifft es wohl besser.

Man muss sich nur Ausschnitte aus seiner Fernsehshow "Moralejas" anschauen; der Titel ist ein Wortspiel mit der Moral, die in seinem Nachnamen steckt. Jimmy Morales macht aber eher unmoralische Witze, gerne auf Kosten der Indigenen. Nicht nur die Menschenrechtsaktivistin Andrea Ixchíu meint: "Er ist ein Rassist." Für Teile der Mittel- und Oberschicht ist das offenbar kein Grund, ihm die Stimme zu verweigern. Viele tendieren auch aus Mangel an Alternativen zu Morales. Die Gegenkandidatin Sandra Torres, 60, nennt sich sozialdemokratisch, ihre Partei aber steht in erster Linie für Vetternwirtschaft. Torres gilt als machtbesessen. Weil sie als Ehefrau des früheren Präsidentin Álvaro Colom nicht hätte kandidieren dürfen, ließ sie sich scheiden. Pro forma zumindest. Solche Tricks haben die Leute satt.

Niemand konnte ernsthaft erwarten, dass dieses über Jahrzehnte in Gewalt und Korruption versunkene Land von einem Tag auf den anderen im demokratischen Frühling aufwacht. Es ist schon ein zartes Zeichen des Fortschritts, dass Morales und Torres unter der Woche gemeinsam aufgetreten sind - mit der Bitte, dass die Präsidentenwahl am Sonntag friedlich verlaufen möge.

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Quelle:
SZ vom 23.10.2015
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