Süddeutsche Zeitung

Große Koalition:Die Bundesregierung ist auf dem besten Weg zur Selbstzerstörung

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Im Streit zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer geht es nicht um die zukünftige Flüchtlingspolitik. Es geht darum, wer in der Vergangenheit recht hatte.

Kommentar von Stefan Braun, Berlin

Der Moment des Innehaltens ist sehr kurz geblieben. Gerade mal einige Stunden schafften es am Mittwoch die Merkel-CDU, die Oppermann-SPD und die Hasselfeldt-CSU, zurückhaltender, bescheidener, leiser aufzutreten. Einen Augenblick lang konnte man die Hoffnung haben, die gegenseitigen Anschuldigungen seien endlich dem Versuch gewichen, den Rechtspopulisten der AfD nicht durch die Desavouierung der eigenen Koalitionspartner immer mehr Zulauf zu verschaffen. 24 Stunden später zeigt sich: Diese Hoffnung ist eine Illusion geblieben.

Dass die CSU am Donnerstag ein Papier zum Umgang mit Flüchtlingen präsentierte, das in der Tonlage aggressiv daherkam, unterstreicht, wie zerstritten CDU, CSU und SPD mit der größten Herausforderung seit der Wiedervereinigung umgehen. Die Koalition, die sich große Koalition nennt, ist im Ringen um gute Politik zum Zwerg verkommen. Ihre Unversöhnlichkeit richtet sich dabei längst gegen sie selbst. Was in harmloseren Zeiten noch als parteipolitisches Scharmützel belächelt werden konnte, hat durch die Erfolge der AfD eine ganz andere Bedeutung bekommen. Jetzt scheint sich zu bestätigen, was die Rechtspopulisten behaupten: dass die in Berlin es eh nicht mehr können. Dass die Koalition das zulässt, ist zum Verzweifeln.

Merkel ändert den Kurs, sagt es aber nicht. Also zetert Seehofer

Dabei fokussiert sich der Streit mittlerweile auf ein einziges Wort: das Wort "Kurswechsel". Das gibt dem Ganzen absurde Züge. Denn obwohl die Kanzlerin das Wort partout meidet und der CSU-Vorsitzende partout einen Kurswechsel einfordert, ist der Kurswechsel längst vollzogen. In den vergangenen zwölf Monaten hat die Koalition das Asylrecht so verschärft wie nie zuvor; Gleiches gilt für die Strafbestimmungen für Asylbewerber. Und dazu wurde das Bundesamt für Migration neu ausgerichtet. Das ist nicht ein Kurswechsel, das sind derer zwei. Und die entlarven den Streit als das, was er ist: ein unverantwortlicher Konflikt, der allein die AfD füttert.

In diesem Streit geht es nicht um die Zukunft, sondern darum, wer in der Vergangenheit recht hatte. Es tobt ein Glaubensstreit zweier Besserwisser, und der ist unlösbar. Merkel beharrt darauf, dass sie im Sommer 2015 nichts anders machen konnte; Seehofer erklärt, dass genau das grundfalsch war. Dazwischen gibt es keine Brücke, die den Weg zum Kompromiss weisen könnte. Es gibt nur die Möglichkeit, dass beide zur Vernunft kommen. Merkel und Seehofer haben geschworen, dem Land zu dienen. Es wird Zeit, dass sie erkennen, welchen Schaden sie anrichten.

Wer glaubt, die AfD sei vor allem wegen der Flüchtlinge groß geworden, der irrt. Die AfD führt einen Kulturkampf gegen alles, was nach Moderne, nach Liberalität, nach Weltoffenheit aussieht. Die Euro-Krise und die Flüchtlinge sind Vehikel zur Vergiftung des Klimas. Gäbe es sie nicht mehr, würde sich die AfD andere suchen. Dagegen hilft nur, dass eine Regierung sich glaubhaft anstrengt und die Selbstzerstörung beendet. Im Moment tut die Koalition das Gegenteil. Und die Rechtspopulisten profitieren.

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Quelle:
SZ vom 09.09.2016
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