Süddeutsche Zeitung

Gorleben:Strahlende Zukunft

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Im Kreistag haben sie ein freudiges Liedchen angestimmt: Die Stadt ist ausgeschieden bei der Suche nach einem Atommüll-Endlager. Bleiben noch 113 Castor-Behälter.

Von Peter Burghardt, Gorleben

Das erste gelbe X an der Straße ins Wendland fällt wie gehabt bereits etliche Kilometer vor Gorleben auf, bald steht dann auch irgendwo die erste Tonne mit Strahlenwarnzeichen zwischen Weiden, Wäldern und Fachwerkhöfen. Es sind die Symbole der Kernkraftgegner und seit Jahrzehnten Wegweiser Richtung Gorleben, dem Inbegriff von Atomstreit in einer Gegend mit viel Natur und wenig Menschen. So wird es wohl bleiben, auch nach dieser historischen Volte.

In der Gemeinde mit ihren 700 Bewohnern sind dann auf der Hauptstraße zunächst nur ein paar Radler und ein Traktor zu sehen, die Bäckerei hat montags zu. "Freudentaumel kann man nicht sagen", sagt Klaus Hofstetter, er sitzt mit verschränkten Armen in seinem Bürgermeisterbüro. Irgendwann müsse die Sache ja zum Abschluss kommen, "ich mach' das seit 40 Jahren mit." Seit Wochenbeginn ist es so weit, das Bergwerk von Gorleben im Wald wird nicht Endlager für Atommüll, so hat es die Bundesgesellschaft für Endlagerung auf Rat von Geologen beschlossen. Die Fahndung nach einem Ort für die atomare Ewigkeit geht anderswo weiter.

Im Zwischenlager sind ja noch immer 113 Castor-Behälter mit giftigem Abfall untergebracht

"Es liegt ja schon länger in der Luft", sagt eine Frau, sie putzt ein paar Ecken vom Rathaus und wenige Meter vom Elbufer entfernt ihre Haustür. 83 Jahre ist sie alt, junge Leute sind hier seltener. Sie hat die Nachricht im Radio gehört und findet es gut, dass ihr Wohnort ausgeschieden ist, "es hat ja genug Ärger gegeben". Erst mal erzählt sie vom Krieg, von den Russen, Amerikanern, Engländern - im Zuge der deutschen Teilung lag Gorleben im Zonenrandgebiet, jetzt im östlichen Zipfel Niedersachsens zwischen Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Doch da waren die Endlagerpläne, die Castoren, die Proteste. Wenn diese Rentnerin im Urlaub in Thailand berichtete, dass sie aus Gorleben sei, dann hörte sie von anderen Deutschen: "ah, Atom!"

Das Atom bleibt der Gegend auch ohne Endlager noch eine Weile erhalten, im Zwischenlager Gorleben sind 113 Castor-Behälter mit hochgiftigem atomarem Abfall untergebracht. Auf einer Lichtung im Kiefernforst gegenüber, vor dem Tor zum Salzstock, wo die Mauer 2019 abgebaut wurde, steht als Mahnmal das Greenpeace-Schiff Beluga. Dort erzählen an Schautafeln und in einer Hütte all die Fotos und Plakate von der Gegenwehr, diesem Stück deutscher Geschichte, der Freien Republik Wendland. Der Aufstand war erfolgreich, inzwischen ist es offiziell, dass sich das unterirdische Revier nicht eignet. "Man wusste es schon lange und hat es immer weiter hinaus geschoben", sagt Jutta von dem Bussche aus der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg. Sie spürt "eine Freude, die sich langsam ausbreitet".

Erst der Atomausstieg. Nun in Runde eins der neuen Erkundung das Ende der quälenden Option Gorleben. "Wir haben mit diesem Fußball-Ereignis nicht gerechnet", sagt Jutta von dem Bussche. Im Kreistag Lüchow-Dannenberg fing immerhin ein Abgeordneter freudig an zu singen, worauf die Sitzung abgebrochen wurde. Die Atomrebellion geht weiter. Andere Gegenden dürften bei der Fahndung nach einer Deponie ähnliche Auseinandersetzungen erleben wie Gorleben. In den betroffenen Orten könnte es "nicht anders laufen als bei uns", vermutet Klaus Hofstetter, der Bürgermeister.

Er ist nicht schadenfroh. Er muss nur kurz grinsen, wenn er an Bayern denkt, das mit der Suche nichts zu tun haben wollte und nun noch im Rennen ist, anders als Gorleben. Hofstetter hat nicht demonstriert, sondern lange im Zwischenlager gearbeitet, aber diese Entscheidung müssten Gegner und Befürworter akzeptieren, sagt er. "Wir können nicht die ganze Bürde für die Bundesrepublik Deutschland tragen."

Hofstetter ist vor 71 Jahren in Gorleben geboren und froh, dass Wissenschaftler entschieden haben. Es war vorher ein Politikum, er kam sich vor "wie veräppelt", nicht mal über das Ausscheiden wurde er offiziell informiert. Was wird aus Gorleben? Grundstücke bietet seine Verwaltung für 7,50 Euro den Quadratmeter an, in Hamburg ist es gern hundertmal so teuer. Wer in 18 Monaten baut, der kriegt acht Euro pro Quadratmeter, mehr als ein Geschenk. Um die Strahlung bräuchten sich Interessenten keine Sorgen zu machen, versichert Hofstetter. "Für uns", meint er zum Gorleben ohne Endlager, "wird's hier noch ruhiger."

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SZ vom 30.09.2020
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