Süddeutsche Zeitung

Gestrichene Flüge nach Israel:Von der Welt so gut wie abgeschnitten

Lesezeit: 3 min

Viele Fluggesellschaften steuern den Flughafen von Tel Aviv nicht mehr an, nachdem eine Rakete der Hamas in der Nähe eingeschlagen ist. Israel fühlt sich von der Welt im Stich gelassen und will nun eilig einen Militärflughafen für zivile Verbindungen öffnen - doch der liegt mitten in der Wüste.

Von Peter Münch, Tel Aviv, und Kim Björn Becker

Flug W6 2791 aus Prag hätte längst landen sollen, TK 794 aus Istanbul ebenfalls. Und auch SK 2845 aus Stockholm wird an diesem Tag nicht den Ben-Gurion-Flughafen von Tel Aviv anfliegen. Nachdem am Dienstag eine im Gazastreifen abgefeuerte Rakete der Hamas in Yehud eingeschlagen ist, einem kleinen Ort anderthalb Kilometer vom Flughafen entfernt, hat die US-Luftfahrtbehörde FAA entschieden, für zunächst 24 Stunden alle Verbindungen nach Tel Aviv zu streichen. Auch die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) hat empfohlen, die Stadt vorerst nicht anzufliegen. Die deutsche Lufthansa stellte ihre Flüge für 36 Stunden ein, auch KLM und Air France fliegen Ben Gurion vorerst nicht an. Es gilt als wahrscheinlich, dass die Sperrung auch nach Ablauf der Fristen bestehen bleibt.

Israel verliert damit seinen wichtigsten Knotenpunkt für Flüge ins Ausland: 90 Prozent aller Ein- und Ausreisen werden über Ben Gurion abgewickelt, mehr als 55 000 Passagiere nutzen ihn täglich. Damit ist das Land gegenwärtig so gut wie von der Außenwelt abgeschnitten. Mit Ausnahme der wenigen verbliebenen Flugverbindungen kann Israel derzeit lediglich per Schiff sowie auf dem Landweg nach Jordanien und Ägypten erreicht oder verlassen werden.

Transportminister fährt demonstrativ zum Flughafen

Im Terminal des Flughafens von Tel Aviv herrscht am Mittwochvormittag ungewöhnliche Stille. Wenige Maschinen starten und landen, lediglich ein Drittel des regulären Flugbetriebs wird abgefertigt. Nur einmal kommt Bewegung in die beinahe menschenleere Schalterhalle: Israels Transportminister Israel Katz ist demonstrativ zum Flughafen gefahren, um dort ein Statement abzugeben. Ben Gurion ist sicher, diese Botschaft sendet er allein durch seine Anwesenheit aus. Katz kritisiert die Entscheidung der westlichen Sicherheitsbehörden und Fluggesellschaften, Tel Aviv nicht mehr anzufliegen, scharf.

Die Flugausfälle nennt der Minister eine "Belohnung für den Terror" der palästinensischen Hamas, die seit etwa zwei Wochen erneut Raketen auf Israel abfeuert. Die meisten Flugkörper werden von der israelischen Raketenabwehr abgefangen und in der Luft zerstört. Das System reiche aus, dass Flugzeuge in Tel Aviv starten und landen könnten, heißt es. "Ben Gurion ist ein sicherer Ort", sagt Liza Dvir, Sprecherin des Flughafens. "Bis gestern war es hier noch voll."

Militärflughafen soll für Passagierflüge geöffnet werden

Um dem Land wieder einen Zugang zum internationalen Flugverkehr zu ermöglichen, hat die israelische Regierung kurzerhand den Militärflughafen Ovda im äußersten Süden des Landes für den Passagierverkehr geöffnet. Die Raketen der Hamas sollen ihn nicht erreichen können, Linienflüge könnten daher schon bald dorthin umgeleitet werden. Ob die Fluggesellschaften sich darauf einlassen, ist allerdings unsicher - das Flugfeld liegt mitten in der Negev-Wüste, etwa 300 Kilometer von Ben Gurion entfernt. Darüber hinaus gilt es als unwahrscheinlich, dass der Flughafen überhaupt imstande ist, das reguläre Passagieraufkommen in vollem Umfang abzufangen.

Zum ersten Mal hat die Hamas damit einen Hebel gefunden, um Israel empfindlich zu schaden. Dass sich die Flugausfälle nachteilig auf den Tourismus im Land und auf die israelische Wirtschaft auswirken, steht außer Frage. Wie groß die ökonomischen Einbußen tatsächlich sein werden, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt allerdings noch nicht genau abschätzen.

Piloten wählten andere Flugrouten

Bereits in den vergangenen Tagen hatten einige Fluggesellschaften ihre An- und Abflugrouten umgestellt, um mit ihren Maschinen möglichst weit vom Gazastreifen entfernt zu sein. Es sei "kein schönes Gefühl", mit einem Jet in ein solches Krisengebiet zu fliegen, sagt ein deutscher Pilot, der namentlich nicht genannt werden will. Erst vor wenigen Tagen war er auf der Strecke nach Tel Aviv im Einsatz. "Als wir auf dem Rollfeld standen, konnte man die Raketen deutlich hören. Wir waren froh, als wir da wieder weg waren."

Zwar würden viele Flugkörper von Israel abgefangen, allerdings könne man nie sicher sein, dass nicht doch eine Rakete zum Flughafen durchkomme. Die Entscheidung, die Verbindungen nach Tel Aviv kurzfristig auszusetzen, hält er für richtig. "Es ist aber nicht konsequent. Die Sicherheitslage war in den zwei Wochen vor dem Einschlag nicht besser als jetzt, wo die Flüge ausgesetzt werden."

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