Süddeutsche Zeitung

Gedenkgottesdienst im Berliner Dom:Gauck nennt Verfolgung der Armenier Völkermord

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Deutschland steuert auf eine Belastungsprobe im Verhältnis mit der Türkei zu. Bei einem Gedenkgottesdienst im Berliner Dom erinnerte Bundespräsident Joachim Gauck am Donnerstag an die Ermordung und Vertreibung der Armenier im Osmanischen Reich vor 100 Jahren und sprach dabei von einem Völkermord. Die Armenier seien "zu Hunderttausenden Opfer von geplanten und systematischen Mordaktionen geworden", sagte der Bundespräsident.

"Das Schicksal der Armenier steht beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von der das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist." Gauck wählte damit dieselbe Formulierung, die offenkundig in Abstimmung mit dem Bundespräsidialamt bereits Eingang in einen Antrag gefunden hat, den Union und SPD an diesem Freitag in den Bundestag einbringen werden. Während der Debatte über den Antrag, der zunächst zur weiteren Beratung in den Auswärtigen Ausschuss überwiesen werden soll, werden auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Plenum anwesend sein.

Deutsche Mitschuld am "Völkermord"

Gauck verwendete in seiner Rede den Begriff des Völkermordes an anderer Stelle noch eindeutiger. In der entsprechenden Passage nahm er auch Bezug auf die deutsche Rolle im Ersten Weltkrieg: "In diesem Fall müssen auch wir Deutsche insgesamt uns noch der Aufarbeitung stellen, wenn es nämlich um eine Mitverantwortung, unter Umständen sogar Mitschuld, am Völkermord an den Armeniern geht."

Auch der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm mahnte, die deutsche "Mitschuld deutlich und klar" auszusprechen.

Komplikationen im Verhältnis zur Türkei, die den Begriff des Völkermords zurückweist, sind damit so gut wie programmiert. Die türkische Regierung zog bereits ihren Botschafter aus Österreich ab, nachdem das Parlament in Wien eine ähnliche Resolution verabschiedet hatte.

Darin heißt es, aufgrund der historischen Verantwortung - Österreich-Ungarn war im Ersten Weltkrieg mit dem Osmanischen Reich verbündet - sei es "unsere Pflicht, die schrecklichen Geschehnisse als Genozid anzuerkennen und zu verurteilen". Ebenso sei es "die Pflicht der Türkei, sich der ehrlichen Aufarbeitung dunkler und schmerzhafter Kapitel ihrer Vergangenheit zu stellen" und die "Verbrechen an den Armeniern als Genozid anzuerkennen."

Anerkennung des Genozids keine Vorbedingung für Beziehungen mit Armenien

Armeniens Gedenkzeremonie für den Beginn der Massaker findet am Freitag in Eriwan statt. Präsident Sersch Sargsjan warb zuvor für eine Wiederaufnahme der Beziehungen mit der Türkei. "Unser Wunsch ist einfach, dass die türkische Führung erklärt: Ja, im Osmanischen Reich gab es einen Völkermord an Armeniern", sagte der Präsident, erklärte jedoch, dies sei keine ausdrückliche Vorbedingung für eine Wiederaufnahme der Beziehungen.

Am Gedenken in Eriwan nehmen auch die Präsidenten Russlands und Frankreichs, Wladimir Putin und François Hollande, teil.

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Quelle:
SZ vom 24.04.2015 / lion, Nif
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