Süddeutsche Zeitung

Nahostkonflikt:Gefährliche Eskalation rund um den Gazastreifen

Lesezeit: 2 min

Von Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv

Rund um den Gazastreifen droht der Konflikt zwischen Israel und militanten Palästinensern erneut zu eskalieren und fordert weitere Todesopfer. Seit Samstag um zehn Uhr feuern militante Palästinenser fast ununterbrochen Raketen auf israelische Gebiete. Bis zum Sonntagmorgen waren es insgesamt mehr als 450 solcher Angriffe, alleine in der vergangenen Nacht wurden 180 Raketen abgefeuert. Die israelische Armee griff bis Sonntagmorgen rund 220 Ziele im Gazastreifen an. Unter anderem wurde ein grenzüberschreitender Tunnel bei Rafah sowie militärische Anlagen und Schiffe der im Gazastreifen regierenden radikalislamischen Hamas und des Islamischen Dschihad, der zweitgrößten militanten Gruppe, attackiert.

Auf beiden Seiten gab es Tote und Verletzte. Miindestens drei Israelis starben bei den Raketenangriffen. Im Gazastreifen wurden nach palästinensischen Angaben am Sonntag drei Menschen getötet. Damit stieg die Opferzahl seit Samstag auf neun Menschen, unter ihnen eine schwangere Frau sowie ein 14 Monate altes Baby. Nach Angaben der israelischen Armee seien sie durch eine Explosion getötet worden, die durch Waffen der Hamas ausgelöst worden sei.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netajahu drohte der Hamas mit massiver Vergeltung für die Raketenangriffe auf israelisches Gebiet. Die Hamas-Herrscher würden dafür einen "hohen Preis" zahlen. Sie seien nicht nur für die von ihren Kämpfern abgefeuerten Raketen verantwortlich, sondern auch für das Vorgehen der kleineren extremistischen Organisation Islamischer Dschihad, sagte er am Sonntag bei der Eröffnung einer Kabinettssitzung.

Nach Einschätzung der israelischen Armee steckt eine koordinierte Aktion von Hamas und Islamischem Dschihad hinter den massiven Raketenangriffen. Es ist der intensivste Beschuss seit vergangenen November. Vor allem der Islamische Dschihad soll über den schleppenden Fortgang der Verhandlungen über einen längerfristigen Waffenstillstand unter ägyptischer Vermittlung verärgert sein. Laut palästinensischen Angaben setze Israel Zusagen nicht um, darunter eine Aufhebung der Güterblockade. Der Islamische Dschihad fühle sich deshalb nicht mehr an die von der Hamas ausgerufene Zurückhaltung gebunden, die Israel als Zugeständnis gefordert hatte. Zuletzt hatte es kurz vor den Wahlen in Israel am 9. April eine militärische Konfrontation gegeben, seither hatte relative Ruhe geherrscht.

Nach Angaben der israelischen Armee versuche der Islamische Dschihad seit etwa zwei Wochen, die Verhandlungen mit Attacken zu sabotieren. Dazu gehört nach Ansicht von Militärexperten ein Angriff auf zwei israelische Soldaten an der Grenze am Freitag. Sie wurden durch Schüsse verletzt. Daraufhin griff die israelische Armee im Gazastreifen an und tötete vier Palästinenser, darunter Kämpfer der Kassam-Brigarden, des militärischen Arms der Hamas. Die Hamas soll daraufhin Vergeltung geschworen und sich gemeinsam mit dem Islamischen Dschihad zu der Angriffswelle entschlossen haben.

Die Sicherheitsvorkehrungen sind wegen des Eurovision Song Contest in Tel Aviv hoch

Raketenalarm ist seit Samstag nicht nur in den Gebieten rund um den Gazastreifen zu hören, sondern auch im Zentralraum Israels, etwa in der Stadt Rechovot oder in Bet Schemesch. Die militanten Palästinenser wollen offensichtlich die Zeit vor dem Mitte des Monats in Tel Aviv stattfindenden Eurovision Song Contest nutzen, um Druck auf Israel auszuüben. Die israelische Zeitung Haaretz zitierte einen Hamas-Funktionär mit den Worten: "Es kann nicht sein, dass man singt und sich freut, während wir leiden."

Die Sicherheitsvorkehrungen wurden vor dem Wettbewerb massiv verstärkt. Insbesondere rund um Tel Aviv wurden die Raketenabwehrsysteme aufgebaut. Kommende Woche werden Zehntausende Touristen erwartet. Die Schulen im Süden Israels bleiben am Sonntag geschlossen, Bunkerräume wurden an vielen Orten geöffnet.

Der UN-Koordinator für den Nahost-Friedensprozess, Nickolay Mladenov, rief alle Parteien zu Deeskalation und zur Rückkehr an den Verhandlungstisch auf. Wer das bisher Erreichte gefährde, trage die Verantwortung für die gravierenden Konsequenzen. Die UNO versucht gemeinsam mit Ägypten einen langfristigen Waffenstillstand zu vermitteln. Eine EU-Sprecherin erklärte, die Raketenangriffe müssten sofort aufhören. Israelis und Palästinenser hätten das Recht, in Frieden zu leben. Nur eine politische Lösung könne der Gewalt ein Ende bereiten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4432688
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.