Süddeutsche Zeitung

Frankreich:Großer Käse

Lesezeit: 2 min

Das Land erfindet sich neu - per Namen. Paris hat neue Regionen geschaffen, und nun suchen Experten in Kommissionen nach den passenden Bezeichnungen. Heraus kommen Zungenbrecher.

Von Christian Wernicke

Halb Frankreich plagt in diesen Wochen die Herausforderung, sich per Namen neu zu erfinden. Vor 15 Monaten hat die Nationalversammlung das Land neu geordnet. Von 22 Regionen blieben lediglich 13 übrig, und sechs von ihnen tragen seither nur vorläufige, elendig lange Bindestrich-Namen: Elsass-Champagne-Lothringen-Ardennen ist ein Beispiel für diese Zungenbrecher. Nun grübeln Experten in Kommissionen, stimmen Bürger, wenn auch nur beratend, im Internet ab. Am Ende votieren die Regionalparlamente. Spätestens zum 1. Juli müssen die neuen Namen in Paris vorliegen.

Die "Ch'tis" waren am schnellsten. Ausgerechnet jener französische Menschenschlag also, den ein humoriger Film weltberühmt gemacht hat ("Willkommen bei den Sch'tis"), und dem die übrigen Landsleute gern eine gewisse Trägheit im Kopf nachsagen, hat sich als erster umgetauft: "Hauts-de-France" heißt nun die neue Groß-Region im äußersten Norden des Landes. "Hoch-Frankreich", das klingt lyrisch. Und ist gewagt. Denn wirkliche "Höhen" finden sich nirgendwo im platten Land zwischen Calais, Lille und Compiègne. Das einzig Hohe an diesem Gebilde, das Paris per Territorialreform aus den drei Altregionen Nord, Pas-de-Calais und Picardie zusammengebastelt hat, ist sein Platz hoch oben auf der Landkarte.

Es sind überall nur Minderheiten aktiver Bürger, die sich für die neuen Etiketten interessieren. Außer Bretonen, Normannen oder Korsen identifiziert sich kaum ein Franzose mit seiner Region. Das hat Paris auch nie gewollt, im Gegenteil: Die Französische Revolution von 1789 zerschlug mit zentraler Macht die alten Provinzen und schuf stattdessen die kleinen, leicht kontrollierbaren Departements. Ganze sechzig Jahre ist es her, dass "la région" als Begriff überhaupt erst wieder in Frankreichs Staatsgefüge auftauchte. Im Vergleich zu deutschen Bundesländern haben Regionalregierungen bis heute lächerlich wenig Macht.

Dennoch, einige Regionen hat der Zauber des Neuanfangs erfasst. Im Osten Frankreichs kann dieser Tage ein jeder Elsässer und Lothringer, jeder Champenois und Ardennais per Klick im Internet zwischen vier Namen wählen: Da wäre das funktionale Kürzel "Acalie", das aus wenig mehr als den Anfangsbuchstaben der vier Altregionen besteht. Wer seine Region per Namen verorten will, der stimmt für "Rhein-Champagne". In Umfragen galt bisher der Titel "Grand Est" (Großer Osten) als Favorit. Oder wird es vielleicht gar "Nouvelle Austrasie"? Diese Neuschöpfung greift kühn zurück ins Mittelalter, als das Frankenreich gespalten war und "Austrasien" von der Nordsee bis tief in heute mitteldeutsche Gefilde reichte.

Frankreichs Regionen schwanken noch zwischen Nostalgie, Prosa und Politkürzeln: "Languedoc-Roussillon-Midi-Pyrénées" etwa mag sich - nach dem Beispiel der Ch'tis im Norden - schlicht "Sud de France" taufen. Oder es rebelliert gegen Paris und erinnert als "Occitanie" (Okzitanien) daran, dass man hier im Süden einst kein Französisch sprach. Die Region "Auvergne Rhône-Alpes" tendiert nüchtern zu "Aura". Aber das mag daran liegen, dass Experten in der Vorauswahl eine andere Idee strichen: Der Name "Land der tausend Käse" fiel ihrer Zensur zum Opfer.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2910356
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 17.03.2016
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.