Süddeutsche Zeitung

Rettungsschiff Diciotti:Flüchtlinge können nach tagelangem Warten an Land

Lesezeit: 2 min

Nach dem Drama um festgesetzte Migranten auf dem italienischen Schiff Diciotti ermittelt die Justiz gegen Innenminister Matteo Salvini. Dem Vize-Premierminister und Chef der fremdenfeindlichen Lega wird Amtsmissbrauch und Freiheitsberaubung vorgeworfen. Für die Migranten auf dem Schiff hat das Warten auf See ein Ende: Sie dürfen im Hafen von Catania an Land.

Salvini bestätigte ein Verfahren gegen ihn. Er hatte angeordnet, die Mitte August im Mittelmeer geborgenen Menschen erst von Bord gehen zu lassen, sobald sich andere europäische Staaten bereit erklären, Flüchtlinge aufzunehmen. Tagelang verhandelten Italien und andere EU-Staaten vergeblich. Nun sagten Albanien, Irland und die katholische Kirche in Italien zu, die verbliebenen rund 140 Migranten aufzunehmen. Diese hatten seit Donnerstag vor einer Woche auf dem Schiff der italienischen Küstenwache ausgeharrt.

Salvini kritisierte die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Agrigent gegen ihn scharf: "Es ist unglaublich, in einem Land zu leben, in dem vor zehn Tagen eine Brücke eingestürzt ist, unter der 43 Menschen gestorben sind, und es keinen gibt, gegen den ermittelt wird", sagte er bei einem Auftritt im norditalienischen Pinzolo. "Und sie ermitteln gegen einen Minister, der die Grenzen des Landes verteidigt. Es ist eine Schande." Seine Anhänger jubelten ihm dafür zu. Salvinis Umfragewerte sind stark gestiegen, seit er im Juni sein Amt angetreten hat.

Um 100 der Menschen an Bord der Diciotti kümmere sich die italienische Bischofskonferenz, teilte die Regierung in Rom mit. Albanien und Irland nehmen demnach jeweils mindestens 20 Menschen auf. Der irische Außenminister Simon Coveney twitterte, er könne bestätigen, dass sein Land bis zu 25 Migranten von der Diciotti aufnehmen werde. Mit den EU-Partnern werde an einer nachhaltigeren Lösung gearbeitet. Papst Franziskus schaltete sich von Irland aus ein und verlangte eine Lösung, die "weit über kurzfristige politische Entscheidungen hinausgehend Weisheit, Weitblick und humanitäre Fürsorge erfordert". Die "massive Migrationskrise" werde nicht von alleine aufhören, sagte der Pontifex in Dublin.

Die italienische Regierung fährt einen harten Kurs in der Flüchtlingspolitik

Auch die Europäische Union fordert eine langfristige Lösung der Migrationsfrage. EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos sagte, es sei gut, dass eine Lösung gefunden worden sei und die Flüchtlinge von Bord gehen könnten, um behandelt zu werden. Das sei dank der Solidarität über Grenzen und Länder hinweg möglich gewesen. "Aber wir können nicht immer auf diese Art von Gefälligkeits-Solidarität warten. Wir müssen strukturelle Maßnahmen haben."

Die italienische Regierung aus Lega und Fünf-Sterne-Bewegung fährt einen harten Anti-Migrationskurs und macht Druck auf die EU. "Diese Regierung steht für eine rigorose und kohärente Migrationspolitik, überlässt die Menschen, die in Lebensgefahr oder kritischem Zustand sind, aber nicht sich selbst", sagte Premierminister Giuseppe Conte.

Erst wurden zivilen Rettungsschiffen mit geretteten Bootsflüchtlingen an Bord die Einfahrt in Häfen verwehrt, dann wurden auch Militär- oder Handelsschiffe teils tagelang im Mittelmeer blockiert. Immer wieder handelte Italien mit einigen EU-Staaten wie Deutschland einmalige Lösungen aus. Doch im Fall der Diciotti blieben die Fronten verhärtet. Ein Treffen mit Vertretern von zwölf Mitgliedsstaaten am Freitag in Brüssel endete ergebnislos.

Italien droht deshalb, die Verhandlungen um den neuen EU-Haushaltsentwurf zu blockieren. Nachdem es auf EU-Ebene bisher keine Lösung für die Verteilung von Flüchtlingen gegeben habe, prüfe man, ein Veto in den laufenden Verhandlungen einzulegen, erklärte Premierminister Conte. Derzeit wird in der EU der Haushaltsrahmen für die Jahre 2021 bis 2027 diskutiert. Dieser muss von allen Mitgliedsstaaten gebilligt werden. "Italien nimmt zur Kenntnis, dass sich der 'Geist der Solidarität' kaum in konkrete Taten übersetzt", teilte Conte mit. "Wir können uns nicht mit einem gemeinsamen Wirtschaftsraum zufrieden geben."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4104738
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
dpa/bepe/sih
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.