Süddeutsche Zeitung

Flüchtlingspolitik:Union geht auf Distanz zu Seehofer

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Der Innenminister steht wegen des Vorschlags in der Kritik, jeden vierten im Mittelmeer geretteten Flüchtling nach Deutschland zu holen. Mehrere CDU-Politiker sehen darin einen Anreiz für Schlepper.

Von Kristiana Ludwig und Karoline Meta Beisel, Berlin/Brüssel

Vor einem Treffen der EU-Innenminister an diesem Dienstag in Luxemburg reißt die Kritik an Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) in den eigenen Reihen nicht ab. Am Wochenende war Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) auf Distanz zu Seehofers Angebot gegangen, jeden vierten Menschen, der im Mittelmeer zwischen Nordafrika, Malta und Italien gerettet wird, nach Deutschland zu bringen. Man werde sich diese Initiative "sehr genau anschauen", sagte Brinkhaus. Auch CDU-Fraktionsvize Carsten Linnemann sagte: "Ein Großteil der Fraktion ist skeptisch gegenüber dem Vorschlag des Innenministers." Man habe Sorge vor "neuen Anreizeffekten" für Schlepper.

CDU-Innenpolitiker Thorsten Frei, der ebenfalls dem Fraktionsvorstand angehört, fürchtet, eine solche Ankündigung könnte "auf Schlepperbanden wie eine Einladung wirken". Zwar habe Seehofer klargestellt, dass Deutschland jederzeit von dieser Zusage zurücktreten könne. Man habe als Unionsfraktion aber "klar die Erwartung", dass er "davon auch Gebrauch macht, wenn die Zahlen ansteigen".

Neben Deutschland haben sich bislang Frankreich, Italien und Malta einem Plan angeschlossen, laut dem gerettete Asylbewerber innerhalb von vier Wochen verteilt werden sollen. Sollte ihre Zahl substanziell ansteigen, könne der Mechanismus aber wieder ausgesetzt werden, steht in dem Papier. Am Dienstag sollen weitere Staaten zum Mitmachen bewegt werden. Politiker von Grünen, Linken und SPD hatten diese Übergangslösung gelobt. Aus Unionskreisen heißt es, nicht nur Seehofers Pläne, sondern sein Politikstil habe für Unmut gesorgt: Die "Kehrtwende" in der Migrationspolitik habe viele in der Fraktion überrascht und irritiert. Seehofer warnte unterdessen in der Bild am Sonntag, wenn Deutschland den Staaten an der EU-Außengrenze nicht helfe, "werden wir eine Flüchtlingswelle wie 2015 erleben - vielleicht sogar noch eine größere als vor vier Jahren".

EU-Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos verteidigte Seehofer gegen Kritik: Deutschland habe die Diskussion vorangetrieben, sagte er der Funke-Mediengruppe. Doch auch unter den EU-Mitgliedstaaten gibt es weiterhin Skepsis wegen der Übergangslösung. Griechenland, Zypern und Bulgarien haben für das Innenministertreffen eine eigene Erklärung angekündigt, in der sie auch für die östliche Mittelmeerroute mehr Unterstützung fordern. Der EU-Grenzschutzagentur Frontex zufolge kamen zwischen Januar und Ende August 38 000 Menschen auf diesem Weg in die EU, deutlich mehr als über Italien oder Malta. EU-Diplomaten weisen zwar darauf hin, dass Malta unter großem Druck stehe. Doch für Länder, die bereits mehr Asylanträge pro Jahr und Einwohner zu bearbeiten hätten als Italien, sei es schwierig, einen Mechanismus zu unterstützen, der vor allem Rom zugutekomme.

Dass aber überhaupt wieder eine Diskussion über die seit Jahren festgefahrene EU-Migrationspolitik in Gang kommt, wird in Brüssel positiv gewertet: "Das Wichtigste ist jetzt, dass die Boote künftig schneller geleert werden können", sagt ein EU-Diplomat.

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Quelle:
SZ vom 07.10.2019
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