Süddeutsche Zeitung

Flüchtlingspolitik:Merkel lehnt Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik ab

Lesezeit: 2 min

Von Robert Roßmann, Berlin

Auftritte von Kanzlern in Talkshows sind ziemlich selten. Deutsche Regierungschefs gehen ungern die Wagnisse ein, die derlei Besuche mit sich bringen. Regierungserklärungen und Wahlkampfauftritte sind leicht zu kontrollieren, die Fragen von Talkmastern nicht. Kanzler treibt es deshalb nur dann in die Fernsehsendungen, wenn der Erklärungsbedarf gewaltig geworden ist. Am Sonntagabend war es wieder einmal so weit. Angela Merkel ist wegen ihrer Flüchtlingspolitik derart in die Defensive geraten, dass sie sich zum Gespräch bei Anne Will eingeladen hat.

Es war erst der dritte derartige Auftritt in den vergangenen fünf Jahren. Beim ersten verteidigte die Kanzlerin - noch bei Günther Jauch - ihre Euro-Politik. Vergangenen Oktober ging es bei Anne Will dann schon einmal um die Flüchtlingspolitik. "Wann steuern Sie um, Frau Merkel?", diesen Titel hatte die Redaktion von Anne Will jetzt der zweiten Merkel-Sendung gegeben.

Erneute Absage für Forderung nach Obergrenze

Es dauerte jedoch nicht lange und allen war klar, dass die Kanzlerin nicht vorhatte, einen Kurswechsel zu verkünden. Merkel räumte zwar ein, dass es im Augenblick wegen ihres Kurses "harte Diskussionen" in Deutschland geben würde. Die Kanzlerin sagte, sie finde natürlich, dass man nicht aufhören dürfe, sich gegenseitig zuzuhören, deshalb müsse auch sie "alle Argumente aufnehmen". Sie sei aber immer noch "zutiefst überzeugt, dass der Weg den ich eingeschlagen habe, richtig ist". Es sei ihre "verdammte Pflicht und Schuldigkeit", alles zu tun, damit Europa einen gemeinsamen Weg finde. Einseitige Grenzschließungen würden dabei nicht weiterhelfen, sagte Merkel. Wenn der eine seine Grenze schließe, müsse der andere leiden. Das sei nicht ihr Europa.

Die Kanzlerin sprach sich erneut gegen Forderungen nach einer Obergrenze für die Zahl der Flüchtlinge aus. Sie habe sich vorgenommen, "in einer so ernsten Frage nichts zu versprechen, was drei Wochen hält und anschließend nicht mehr". Wer solchen Forderungen nachkomme, habe vielleicht vier Wochen Ruhe, anschließend würde er die Obergrenze aber revidieren müssen. Dann wäre die Enttäuschung "noch viel, viel größer".

Merkel hielt dem Vorwurf, sie habe im September die Grenzen für Flüchtlinge geöffnet, entgegen, die Grenzen seien damals offen gewesen, sie habe sie lediglich nicht geschlossen. Dabei sei es angesichts der aus Ungarn anmarschierenden Flüchtlinge auch um eine Art "humanitären Imperativ" gegangen. Angesichts der Flüchtlingsströme quer durch Europa warnte Merkel vor nationalen Alleingängen. "Das ist genau das, wovor ich jetzt Angst habe", sagte die Kanzlerin. Sie sei aber "sehr optimistisch, dass uns der europäische Weg gelingt". Es sei "überhaupt nicht die Zeit, über Alternativen nachzudenken" Und so war es kein Wunder, dass Merkel am Ende auf die Frage von Will, was denn passieren müsse, damit sie umsteuern müsse, antwortete: "Ich sehe nichts, was das hervorrufen könnte."

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SZ vom 29.02.2016
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