Süddeutsche Zeitung

Verteilung von Flüchtlingen in der EU:Das Ende der Drückebergerei

Lesezeit: 2 min

Lange hat Horst Seehofer Migration als Bedrohung dargestellt, nun will er plötzlich ein Viertel der vor Italien geretteten Flüchtlinge aufnehmen. Doch das reicht nicht - auch, weil die scharfe Rhetorik als emotionaler Brandsatz gewirkt hat.

Kommentar von Constanze von Bullion

Na also, geht doch, ein erster Schritt ist gemacht. Bundesinnenminister Horst Seehofer hat sich bereit erklärt, jeden vierten Flüchtling nach Deutschland einreisen zu lassen, der vor Italien aus Seenot gerettet wurde. Frankreich soll ebenfalls bereit sein, Italien 25 Prozent der Gestrandeten abzunehmen, weitere Staaten sollen folgen. Noch ist die Vereinbarung nicht unterzeichnet, das soll beim EU-Innenministertreffen nächste Woche auf Malta geschehen. Aber gratuliert werden darf schon mal, mindestens Seehofer. Es kündigt sich da ein Ton- und Richtungswechsel an.

Anderthalb Jahre lang hat der Bundesinnenminister Alarm geschlagen und die verstärkte Einwanderung nach Europa als eine Art bösen Urknall beschrieben. Migration, Mutter aller Probleme; Islam, gehört nicht zu Deutschland - kaum eine Gelegenheit wurde da ausgelassen, das Phänomen weltweiter Flucht und Migration als Bedrohung der europäischen Lebensart darzustellen, aber auch als Anschlag auf Sicherheit und Ordnung.

Nicht in der Absicht, aber in der Wirkung ist diese Rhetorik zum emotionalen Brandsatz geworden. In Europa haben die Menschen 2015 begonnen, sich gegen Fremde zu rüsten, befeuert auch von Regierenden wie Seehofer. Und die Saat der Angst haben andere gedüngt. In Deutschland gehört völkische Hetze der AfD inzwischen zum Alltag, auf der Straße fürchten sich Menschen mit dunkler Haut. In Frankreich sitzt der Front National in der Mitte der Gesellschaft. Etliche Staaten Osteuropas schotten sich gegen Muslime ab. Brüssel schweigt dazu. Und Italien? Warf sich Rechtspopulisten und Faschisten an den Hals, auch weil Europa das Land mit den Flüchtlingen allein ließ. Nach dem Motto: Wir baden gern an euren Küsten, aber die Abschottung besorgt bitte selbst.

Rechte Durchlauferhitzer werden mit demokratischer Solidarität bekämpft

Es ist einem Anstoß aus Paris zu verdanken, dass die Drückebergerei nun beendet werden soll. Ein paar EU-Staaten wollen sich in Malta unterhaken, um Verteilungsquoten für Flüchtlinge festzuschreiben. Rechte Durchlauferhitzer wie Matteo Salvini in Italien werden da mit demokratischer Solidarität bekämpft, über Landesgrenzen hinweg. Gut so. Und es schadet nicht, wenn der Migrationsskeptiker Seehofer sich nun an die Spitze der Bewegung stellt. Ein paar Hundert Flüchtlinge aus Italien - "Na und?", ließ er wissen. Sie seien doch auch bisher gekommen. Wir schaffen das, so könnte man das abkürzen.

Mit einer neuen Tonlage allein aber ist es nicht getan. Europa braucht dauerhafte Verteilungsquoten für Flüchtlinge, sonst geraten die Mittelmeeranrainer unter gefährlichen inneren Druck. Und ja, die wirtschaftlich Starken der EU müssen vorangehen und freiwillig Migranten übernehmen, samt Asylverfahren. Mag sein, dass zunächst nur wenige andere Staaten mitziehen. Und wenn schon. Dem Neuanfang darf das nicht im Weg stehen.

Auf Dauer aber können Verweigerer wie Ungarn oder Polen nicht an ihrer staatlich geförderten Fremdenfeindlichkeit festhalten. Hier muss die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen handeln. Wer EU-Privilegien genießt, muss beim Weltproblem Migration anpacken. Wer sich weigert, stark belasteten Partnern Flüchtlinge abzunehmen, gehört zu Strafzahlungen verpflichtet. Das ganze absurde Dublin-System muss weg, wonach jeder Staat für die Migranten zuständig ist, die seinen Boden in der EU als Erstes betreten. Der Aufbruch in Malta ist da nur ein Anfang. Er kommt keinen Tag zu früh.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4601242
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 16.09.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.