Süddeutsche Zeitung

Finnland:Premierminister scheitert an der Post

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Von Kai Strittmatter, Kopenhagen

Gerade mal sechs Monate sind die Parlamentswahlen her, nun steht Finnland schon wieder ohne ordentliche Regierung da: Premierminister Antti Rinne hat am Dienstag seinen Rücktritt erklärt. Erst im Juni war Rinne zum ersten sozialdemokratischen Regierungschef seit 20 Jahren gewählt worden. Dem Rücktritt voraus ging ein Streit innerhalb der Mitte-links-Regierungskoalition um einen Streik der Postangestellten, in dessen Folge die Zentrumspartei Antti Rinne das Vertrauen entzog. Gemeinsam mit Rinne trat das ganze Kabinett zurück, es wird jedoch bis auf Weiteres die Geschäfte führen.

Die überraschende Eskalation der Regierungskrise trifft das Land zu einem ungünstigen Zeitpunkt: Finnland hat noch bis Jahresende die EU-Ratspräsidentschaft inne und arbeitet in dieser Rolle gerade am neuen Haushalt der Union. Möglicherweise ist die Krise aber in der kommenden Woche schon vorüber: Die Vorsitzende der Zentrumspartei, Katri Kulmuni, erklärte, ihr Misstrauen habe nur Premierminister Rinne gegolten, nicht aber der sozialdemokratischen Partei, und grundsätzlich sei ihre Partei bereit zu einer Fortführung der Fünf-Parteien-Koalition, aber unter einem neuen Premierminister. Für den Fall, dass die fünf bisherigen Regierungsparteien nach dem Rücktritt Rinnes tatsächlich zusammenhalten, wäre das für diesen Mittwoch angekündigte Misstrauensvotum der Opposition bedeutungslos.

Tatsächlich sieht es nicht danach aus, als hätte einer der momentanen Regierungspartner Lust auf Neuwahlen: In den Umfragen der letzten Monate hatten mit Ausnahme der Grünen alle Koalitionspartner stark verloren. Die Sozialdemokraten liegen in der jüngsten Umfrage nur mehr auf Platz vier, die Zentrumspartei schneidet noch schlechter ab. Großer Gewinner in allen Umfragen ist die rechtspopulistische Partei der "Finnen", die sich bei den Parlamentswahlen noch ganz knapp den Sozialdemokraten geschlagen geben mussten. Zum ersten Mal seit 2010 liegen sie auf Platz eins in den Umfragen. Bei Neuwahlen wären die europa- und immigrationsfeindlichen "Finnen" also vermutlich die großen Gewinner.

Zwei aussichtsreiche Kandidaten

Die Kommentatoren in Finnland gehen deshalb davon aus, dass die Regierungskoalition am Ende bestehen bleibt. Allerdings müssen die Parteien nach dem Rücktritt des Premiers nun formell neue Regierungsverhandlungen beginnen, was sie Berichten der finnischen Presse zufolge am Donnerstag tun werden. Wenn alles glattläuft, könnte die neue Regierung bis Ende nächster Woche stehen. Pikant wäre allerdings, dass die Regierungsverhandlungen dann geleitet würden von eben jenem Antti Rinne, der am Dienstag zwar als Premierminister zurücktrat, aber als Parteivorsitzender der Sozialdemokraten im Amt bleiben möchte. Der öffentlich-rechtliche Sender YLE prophezeite deshalb auch, es werde sich "Bitterkeit" in die Verhandlungen einschleichen, schließlich sei man gerade Zeuge geworden eines "Bürgerkriegs innerhalb der Regierung".

Wer neuer Premierminister wird, war am Dienstag noch nicht klar. Die beiden aussichtsreichsten Kandidaten sind jedoch der Vorsitzende der sozialdemokratischen Parlamentsfraktion, Antti Lindtman, und die Verkehrsministerin Sanna Marin. Beide erklärten am Dienstag, sie seien bereit zu kandidieren. Zur Favoritin erklärten die finnischen Medien die 34-jährige Sanna Marin, die auch stellvertretende Parteivorsitzende der Sozialdemokraten ist und die Partei während einer Krankheit Rinnes im vergangenen Jahr schon einmal geleitet hatte. Wenn sie gewählt wird, wäre Sanna Marin die jüngste Premierministerin in der finnischen Geschichte. Marin eilte am Dienstag von einer Sitzung in Brüssel zurück nach Helsinki und sagte Reportern, die neue Regierung solle auf Grundlage der bisherigen Koalition gebildet werden. Sie sehe keine Notwendigkeit, andere Oppositionsparteien zu den Gesprächen zu bitten. Sanna Marin gilt auch als Favoritin Rinnes für seine Nachfolge. Die Partei wird bei einem Parteitag am 10. Dezember entscheiden, wer Rinne als Regierungschef nachfolgt.

Unmittelbar ausgelöst hat die Krise ein Streik bei der staatlichen Post. Das Management der Post hatte 700 Angestellte mit neuen, schlechter bezahlten Verträgen ausstatten wollen. Die zuständige Ministerin Sirpa Paatero trat am vergangenen Freitag zurück, nachdem bekannt geworden war, dass sie vorher über die Pläne des Postmanagements informiert war und dem Parlament darüber nicht die Wahrheit gesagt hatte. Danach gab es Hinweise, dass auch Premier Antti Rinne, selbst früherer Gewerkschaftsführer, von der geplanten Schlechterstellung der Postmitarbeiter Bescheid gewusst und dazu sein Einverständnis gegeben hatte.

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Quelle:
SZ vom 04.12.2019
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