Süddeutsche Zeitung

Europäische Union:Frankreichs Digitalsteuer-Pläne drohen zu platzen

Lesezeit: 3 min

Von Alexander Mühlauer, Brüssel

Wenn Bruno Le Maire nach Brüssel kommt, lässt er jedermann spüren, dass er im Auftrag seines Präsidenten unterwegs ist. Voller Selbstbewusstsein tritt der französische Finanzminister für all jene Pläne ein, die Emmanuel Macron in seiner Sorbonne-Rede formuliert hat. Die Botschaft aus Paris ist eindeutig: Die EU muss den Bürgern vor der Europawahl im Frühjahr zeigen, dass sie den Kontinent besser und gerechter machen kann; tut sie das nicht, gewinnen die Antieuropäer. Doch bei aller Entschlossenheit dürfte Le Maire in der kommenden Woche einmal mehr auf dem harten Boden der Realpolitik aufschlagen. Nachdem er sich im Ringen um die Euro-Reform schon die ein oder andere blutige Nase geholt hat, droht nun das nächste große Versprechen Macrons zu platzen: eine europäische Digitalsteuer.

Wenige Tage vor der entscheidenden Sitzung der EU-Finanzminister am Dienstag zeichnet sich ab, dass Frankreichs Niederlage wohl kaum mehr zu verhindern ist. Beim Treffen der EU-Botschafter in dieser Woche zeigte sich ein massiver Widerstand gegen das Vorhaben aus Paris. Vertreter aus neun Mitgliedsstaaten machten mehr oder weniger unverblümt deutlich, was sie von dem Vorschlag halten: wenig oder nichts. Dass Irland, Dänemark und Schweden unter den Kritikern sein würden, dessen war man sich in Paris bewusst; besonders schmerzlich sind allerdings die Widerworte aus Deutschland. Denn nach seinem letztem Zugeständnis in der Sache hoffte Le Maire auf Beistand aus Berlin.

Bei der EU-Digitalsteuer geht es nicht voran, der Ärger in Paris sitzt tief

Um das monatelange Zögern von Bundesfinanzminister Olaf Scholz zu beenden, gab sich der Franzose schlussendlich damit zufrieden, dass die EU-Digitalsteuer erst Anfang 2022 in Kraft tritt. Und das auch nur, falls bis dahin nicht die Mitglieder der Industrieländer-Organisation OECD eine weit über Europa hinaus wirkende Steuer vereinbart haben sollten. Allerdings verlangt Le Maire, diesen Kompromiss bereits am kommenden Dienstag rechtlich bindend festzuschreiben - sozusagen als Gesetz auf Vorrat. Dazu ist Berlin nach Angaben von EU-Diplomaten aber nicht bereit. Deutschland wäre lediglich für eine politische Erklärung zu haben, die das Ziel einer internationalen Lösung festhält; sollte das nicht gelingen, könne man im Sommer 2020 erneut über eine europäische Alternative nachdenken. Bis dahin will die OECD einen Bericht über den Fortschritt der Steuergespräche vorlegen.

Während man in Berlin versucht, die Franzosen von dieser einigermaßen gesichtswahrenden Lösung zu überzeugen, wird der Frust in Paris immer größer. Das gegenseitige Misstrauen hat offenbar einen neuen Höhepunkt erreicht. Der Ärger der Franzosen sitzt so tief, dass von Wortbruch die Rede ist. Schließlich sei in der Erklärung von Meseberg beim deutsch-französischen Regierungstreffen vereinbart worden, "eine EU-Einigung über eine faire Besteuerung der digitalen Wirtschaft bis Ende 2018 herbeizuführen".

Auch wenn Le Maire und Scholz immer wieder betonen, dass sie sich persönlich gut verstehen, ist eines unübersehbar: In der Sache herrscht zwischen den beiden Ministern ein tiefer Graben. Auf dem Spiel steht nicht weniger als das wichtigste politische Gut zwischen Deutschland und Frankreich: Vertrauen. Die Frage ist, inwieweit sich der Streit bis zum EU-Gipfel Mitte Dezember eindämmen lässt. Dann wollen die Staats- und Regierungschefs Reformen für die Wirtschafts- und Währungsunion beschließen. Doch auch in der Debatte über die Zukunft des Euro ist von Macrons Visionen ist nicht viel übrig geblieben. Weder das Euro-Zonen-Budget noch ein Euro-Finanzminister stehen auf der Agenda; es geht stattdessen um sehr technische Fragen, die Europas Bürger kaum begeistern dürften. So soll es eine Letztsicherung für den Bankenabwicklungsfonds geben, genannt Backstop. Und der Rettungsfonds ESM soll neue Kompetenzen erhalten; zu einem Europäischen Währungsfonds wird er nicht ausgebaut.

Fest steht: Das Reform-Zeitfenster, das sich nach der Wahl Macrons zum Präsidenten bis zur Europawahl auftat, schließt sich allmählich. In Paris ist man mit dem Resultat in der Wirtschafts- und Finanzpolitik überhaupt nicht zufrieden. Der Frust über die deutsche Verweigerungshaltung sitzt tief, auch am Tag nach Scholz' Europa-Rede an der Berliner Humboldt-Universität. "Der deutsche Finanzminister hat sich keinen Millimeter auf Frankreich zubewegt", sagt ein EU-Diplomat, "stattdessen provoziert er unnötigerweise." Scholz hatte vorgeschlagen, dass Frankreich seinen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat in einen gemeinsamen Sitz der Europäischen Union umwandelt. Die Antwort des französischen Botschafters in Washington folgte prompt: Eine Änderung der Charta der Vereinten Nationen halte er für juristisch und politisch "unmöglich".

Was die Pläne einer EU-Digitalsteuer betrifft, so erklärte Scholz: "Ja, wir werden etwas beschließen im Dezember." Die Prognosewahrscheinlichkeit liege bei 95 Prozent. Der Bundesfinanzminister will sich erst auf eine europäische Lösung fokussieren, wenn die Verhandlungen auf internationaler Ebene scheitern sollten. In Berlin heißt es, dass Deutschland bis zu einem Drittel der Einnahmen aus der Körperschaftsteuer verlieren könnte, wenn virtuelle Betriebsstätten besteuert würden. Hinzu kommt die Angst vor einer möglichen Vergeltungsaktion der USA, denn die geplante EU-Steuer würde vor allem US-Digitalkonzerne wie Google, Facebook oder Amazon treffen. Und dann gibt es natürlich noch ein Argument, das selbst Le Maire nicht infrage stellen kann: Bei Steuerentscheidungen in der EU ist Einstimmigkeit nötig. Und die gibt es momentan nicht.

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Quelle:
SZ vom 30.11.2018
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