Süddeutsche Zeitung

Neo-Nationalismus:Wenn der Neo-Nationalismus die EU zerstört

Lesezeit: 2 min

Noch ist es möglich, die Union zu retten. Doch für den Fall, dass der Neo-Nationalismus das Ende der EU bedeutet, gibt es eine Alternative.

Kommentar von Stefan Ulrich

Die Krisen, die Europa strangulieren, haben vielleicht auch etwas Gutes: Der Kontinent muss sich auf die fundamentalen Fragen besinnen, was er ist und wohin er will. In den vergangenen Jahren beschäftigte sich die EU ganz mit den Mühen der Ebene. Jetzt zwingt sie ein Berg von Problemen, Grundsätzliches anzugehen. Die Hauptgefahr ist dabei weder die Griechenland-, noch die Flüchtlingskrise noch ein Abgang Großbritanniens. Sie hat einen anderen Namen, und der heißt Neo-Nationalismus.

Die Flucht vor den Problemen hinter nationale Grenzen geht einher mit einer emotionalen Aufladung des Nationalen in etlichen Staaten, die Schlimmstes befürchten lässt. Um diese Herausforderung zu meistern brauchen die Pro-Europäer einen Plan A, um die EU zu erhalten. Und einen Plan B, für den Fall, dass sie scheitert.

An Plan A wird gearbeitet, und zwar recht erfolglos, wie der jüngste EU-Gipfel zeigte. Doch noch ist es möglich, die Union zu retten. Dies verlangt allen Mitgliedstaaten ab, europäische Interessen öfter vor nationale zu setzen. Zuerst müssen sie sich auf eine Strategie in der Flüchtlingsfrage einigen. Hierzu gehört es, Lasten fair zu verteilen. Wer sich verweigert, wie Polen, Ungarn oder die Slowakei, muss überzeugt werden. Wenn möglich im Guten. Sonst durch Sanktionen, die der österreichische Kanzler Werner Faymann angesprochen und der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier erwähnt hat. Allerdings sind Sanktionen schwer durchsetzbar.

Mit einer Mischung aus Entgegenkommen und Prinzipientreue

Sodann gilt es, zweitens, die Euro- und Schuldenkrise dauerhaft zu lösen. Derzeit ist sie nur aufgeschoben. Griechenland, Spanien und Italien müssen ihre Reformen fortsetzen. Frankreich muss sie beschleunigen. Im Gegenzug haben die bessergestellten Staaten ihre Hilfen undogmatisch zu verstärken. Drittens kann die EU versuchen, Großbritannien durch eine Mischung aus Entgegenkommen und Prinzipientreue in der Gemeinschaft zu halten.

Viertens ist Deutschland gefragt. Es ist nicht der Muster-Europäer, als das es sich fühlt. Deutschland hat einst angefangen, den Stabilitätspakt aufzuweichen. Es stellt die Partner immer wieder vor vollendete Tatsachen: beim Atomausstieg, in der Flüchtlingsfrage, beim Ausbau der Pipeline Nord Stream. Und es zwingt anderen seine Linie auf, so in der Griechenland-Krise. Dabei reicht es in der EU nicht, recht zu haben. Man muss die anderen überzeugen und sich auch mal selbst überzeugen lassen. Selbst gute Freunde Deutschlands wie Italiens Premier Matteo Renzi sind genervt von der "deutschen Führung".

Da Plan A scheitern kann, muss schon jetzt über Plan B nachgedacht werden. Zerstört der Neo-Nationalismus die EU, gilt zu retten, was zu retten ist. Diejenigen, die an Europa glauben, können dann ein Kerneuropa gründen und sich noch enger zusammenschließen. Allein die Absicht, das im Fall des Falles zu tun, dürfte mäßigend auf Polen, Dänemark oder Großbritannien wirken. Sie sollten wissen: Europa will sie alle dabei haben - aber nicht zum Preis der Selbstzerstörung.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2790855
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 21.12.2015
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.