Süddeutsche Zeitung

EU-Vertrag von Lissabon:Irlands Ja bringt die Torys in Not

Lesezeit: 3 min

Londons Konservative lehnen den Lissabonner EU-Vertrag ab. Vom Ja auf der Nachbarinsel Irland wurden sie kalt erwischt.

Wolfgang Koydl

Es war ein konservativer britischer Premierminister, der gefragt wurde, was eine Regierung vom Kurs abbringen könne. Harold Macmillan setzte ein Lächeln auf und sagte: "Umstände, mein Lieber, Umstände." Heute führt David Cameron die britischen Torys, doch bevor er sich anschickt, als Regierungschef in die Downing Street zu ziehen, könnte er darüber nachsinnen, dass Umstände auch die Pläne einer Opposition über den Haufen werfen können.

Eigentlich wollten die Konservativen, die sich in Manchester zum letzten Parteitag vor der Unterhauswahl versammeln, über Sozialpolitik, Bildungswesen, Defizit und über Verbrechensbekämpfung reden. Doch stattdessen reden alle über ein Thema, bei dem sich die Torys unwohl fühlen: Britanniens Rolle in Europa.

Der Themenwechsel wurde von den Iren erzwungen, die in einem zweiten Referendum am Freitag den europäischen Reformvertrag von Lissabon mit einer Mehrheit von 67,1 Prozent der Stimmen gutgeheißen hatten. Nur 32,9 Prozent der Irinnen und Iren lehnten den Vertrag ab.

In einer ersten Volksbefragung im Juni 2008 hatten sich die Iren gegen das Abkommen ausgesprochen und damit Nachbesserungen aus Brüssel erzwungen. Britanniens Konservative wurden vom Ja auf der Nachbarinsel kalt erwischt.

Obwohl das Unterhaus den Lissabon-Vertrag bereits für Großbritannien ratifizierte, hatten die Torys den Briten ein Referendum für den Fall versprochen, dass das Reformwerk bis zur Übernahme der Regierung durch sie noch nicht von allen 27 EU-Mitgliedern abschließend behandelt worden sei. Auch nachdem Dublin nun eingelenkt hat, sagte Cameron dem britischen Fernsehen: "Wir wollen ein Referendum haben."

"Alle Optionen offen"

Doch seine Möglichkeiten sind geschrumpft. Er kann nur hoffen, dass die Tschechen das Inkrafttreten des Vertrages bis nach der Unterhauswahl hinauszögern. Sie wird voraussichtlich Anfang Mai stattfinden; da der Termin aber von Premier Gordon Brown bestimmt wird, ist auch ein Wahltag im Juni möglich.

Für den Fall, dass der Europavertrag bis zum Amtsantritt einer konservativen Regierung von allen EU-Staaten abgesegnet ist, hat sich Cameron "alle Optionen offen" gehalten. Übersetzt bedeutet das, dass er in einer ungemütlichen Lage sein wird, nachdem er die Hoffnungen der Briten auf ein Referendum geweckt hat.

Diese Unsicherheit ist ein Grund, weshalb der Tory-Chef derzeit nicht über Europa reden will. Auch der Brief, in dem er den tschechischen Staatspräsidenten Vaclav Klaus drängte, sich mit der Unterschrift Zeit zu lassen, wurde von den Medienstrategen der Torys nicht an die große Glocke gehängt.

Für die Zurückhaltung gibt es einen guten Grund. Kein anderes Thema hat das Potential, die Konservative Partei so zu spalten wie Europa. Die Euro-Skeptiker mögen zwar im Ausland bekannter sein, weil sie ihre Meinung vernehmlicher äußern. Aber es gibt auch einen starken pro-europäischen Flügel, der vom ehemaligen Schatzkanzler Kenneth Clarke angeführt wird.

Sie dürften entsetzt sein über die jüngste Forderung des Londoner Bürgermeisters Boris Johnson. Der populäre Tory verlangt ein Referendum über Lissabon selbst für den Fall, dass der Vertrag europaweit schon in Kraft getreten ist. Zusätzlich kompliziert wird die Sache für die Konservativen durch einen anderen Umstand, der sich ihrer Kontrolle entzieht.

Schrille Proteste

Immer mehr verdichten sich die Anzeichen, dass Ex-Premier Tony Blair der erste europäische Präsident auf der Basis des Lissabon-Vertrages werden soll. Er ist die Erz-Nemesis der Torys, der einzige Labour-Politiker, der Labour - wäre er denn noch in der Partei aktiv - zu einem weiteren Wahlsieg führen könnte.

Die Vorstellung, dass ein Premierminister Cameron die europäische Bühne mit einem Präsidenten Blair teilen müsste, hat schrille Proteste ausgelöst. William Hague, der in einem Kabinett Cameron Außenminister würde, warnte Europas Regierungschefs davor, Blair zu wählen. "Es gibt keine schlechtere Art, den Briten Europa verkaufen zu wollen", drohte er.

Es ist ein offenes Geheimnis in Europa, dass man Blair eigentlich auch nicht will. Aber seine Kandidatur, die von Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy und Bundeskanzlerin Angela Merkel vorangetrieben wird, könnte auch heimliche Rache an Cameron sein.

Sie haben es ihm nicht vergeben, dass er die Torys aus der Fraktion der Europäischen Volkspartei im EU-Parlament herausgenommen und mit rabiaten Europafeinden zusammengeführt hat. Die Vorstellung, Cameron einen politischen Gegner vor die Nase zu setzen, ist ein Umstand für Schadenfreude.

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SZ vom 05.10.2009
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