Süddeutsche Zeitung

EU-Kommission:Schwerer Schlag

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Handelskommissar Phil Hogan ist zurückgetreten, weil er bei einer Reise offenbar Corona-Regeln missachtet hat. Das ist richtig, Politiker müssen Vorbilder sein. Doch die Kommission gerät nun in Personalnot.

Von Björn Finke

Die Entscheidung ist richtig und überfällig, doch sie schwächt die EU-Kommission zu einem heiklen Zeitpunkt: Handelskommissar Phil Hogan ist zurückgetreten, weil er bei einer Reise in die irische Heimat Corona-Regeln missachtet hat. Seine Chefin, Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, verliert so einen ihrer erfahrensten und wichtigsten Mitstreiter. Ihn gleichwertig zu ersetzen wird schwierig, ist aber von höchster Bedeutung, denn auf diesem mächtigen Posten kann sich Europa keinen Anfänger oder bloßen Mitläufer erlauben. Zumal im Kommissarskollegium ohnehin schon einige Politiker sitzen, die in den ersten neun Monaten ihrer Brüsseler Amtszeit eher blass geblieben sind.

Hogans Abgang bereitet also reichlich Ärger, war allerdings unvermeidlich. Der Kampf gegen die Pandemie verlangt den Bürgern viel ab, und sie können zu Recht erwarten, dass Spitzenpolitiker Vorbilder sind. Trotzdem hätte Hogan Vergebung verdient gehabt, wenn er sich rasch und umfassend für seine Regelbrüche entschuldigt und alle Reisedetails offengelegt hätte. Fehler passieren eben, EU-Kommissare sind keine Übermenschen. Stattdessen kam die Wahrheit scheibchenweise ans Licht, und Hogan zeigte sich erst nach dem öffentlichen Aufschrei reumütig. So verspielte er Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Sein Rücktritt ist zudem ein Signal, dass für EU-Kommissare die gleichen Standards gelten wie für gewählte nationale Politiker: ein Argument gegen die beliebte Behauptung von Europaskeptikern, Brüssel sei eine Bastion abgehobener, unkontrollierbarer Technokraten.

Die irische Regierung muss nun ganz schnell einen Nachfolger oder besser eine Nachfolgerin bestimmen, und von der Leyen muss überlegen, ob sie dem oder der das Handelsportfolio anvertraut. Sie könnte auch die Aufgaben im Kollegium neu verteilen. Damit würde die Deutsche klarmachen, dass Staaten kein Anrecht auf bestimmte, begehrte Posten haben, sondern dass sie alleine entscheidet. Relevanter als solche Symbole sollte aber die Frage sein, wer am geeignetsten ist, sich so wichtigen und dringenden Themen wie dem Handelsstreit mit den USA, dem Investitionsabkommen mit China, der Reform der WTO oder dem Brexit zu widmen.

Übergangsweise kümmert sich von der Leyens Vize Valdis Dombrovskis darum. Der frühere lettische Premier wurde schon 2014 EU-Kommissar für den Euro, hatte jedoch Probleme, sich bei Streitfragen gegen den damaligen Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici durchzusetzen. Da erscheint es mehr als zweifelhaft, dass er auf Dauer ein guter Ersatz für den gewieften Verhandler Hogan wäre.

Überhaupt hat von der Leyens Topriege keinen guten Lauf: Neben dem Letten ist Margrethe Vestager geschäftsführende Vizepräsidentin. Sie ging als Wettbewerbshüterin gegen Steuertricks der Konzerne vor, gilt seither als Star-Kommissarin - und kassierte im Juli im Apple-Verfahren eine krachende Niederlage vor Gericht. Dritter im Bunde ist Frans Timmermans, verantwortlich für das Megathema Klimaschutz. Er war zum Start seiner Amtszeit allgegenwärtig, aber seit Beginn der Pandemie hört man wenig von ihm.

Und dann gibt es noch diverse Kommissare, von denen sowohl vor als auch seit der Pandemie wenig zu hören war. Ganz anders Hogan: Der Ire war ein weithin respektiertes Schwergewicht in diesem Kollegium, das manch politischem Leichtgewicht Unterschlupf bietet. Er wird fehlen.

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SZ vom 28.08.2020
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