Süddeutsche Zeitung

EU-Flüchtlingspolitik:Das zynische Spiel muss aufhören

Lesezeit: 2 min

Die EU zwingt illegale Einwanderer per Richtlinie auf die gefährliche Route über das Mittelmeer. Deshalb sterben Menschen. Es muss über ein Ende der Trennung zwischen politischen und Wirtschaftsflüchtlingen gesprochen werden.

Kommentar von Thomas Kirchner

Es ist nicht politische Einsicht, es ist allein das Sterben im Mittelmeer, das die Europäische Union nun zum Handeln bewegt. Die einfache Rechnung geht so: 400 tote Flüchtlinge erzeugen mehr Druck als 100, 800 mehr als 400.

Also wird nun die fatale Entscheidung korrigiert, die Seenotrettungsoperation "Mare Nostrum" auslaufen zu lassen und durch die viel schlechter finanzierte Grenzschutzmission "Triton" zu ersetzen. Aber nur ein bisschen. Es wird mehr Geld und mehr Schiffe für Triton geben, das Einsatzgebiet allerdings bleibt auf die italienische Küste begrenzt. Man wird sich mehr anstrengen bei der Seenotrettung. Die europäischen Staaten werden einige Tausend besonders verfolgte Syrer aufnehmen. Und sie wollen versuchen, den Schleusern das Handwerk mit Kriegsschiffen zu legen, die Schlepperboote schon vor Gebrauch zerstören sollen.

Die letztgenannte dieser Ideen ist unsinnig und kaum mehr als Kraftmeierei. Es wird immer genügend schrottreife Boote geben, die sich mit Flüchtlingen füllen lassen. Alle anderen Beschlüsse sind vernünftige Schritte, die das Elend vielleicht ein wenig lindern können. An den Fluchtursachen - den oft schrecklichen Zuständen in den Herkunftsländern der Flüchtlinge - ändern die EU-Vorhaben aber nichts.

Die EU zwingt Migranten aufs Meer. Das muss sich ändern

Die nächste Frage lautet: Warum riskieren die Verzweifelten denn die Fahrt über das Meer? Warum steigen sie nicht auf eine Fähre oder in ein Flugzeug, was sicherer und viel günstiger wäre? Der Grund ist eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2001 zur Abwehr illegaler Migranten. Sie droht Transportgesellschaften, die solche Menschen ohne Papiere an Bord nehmen, mit hohen Strafen. De facto wird nicht zwischen politischen und so genannten Wirtschaftsflüchtlingen unterschieden, sie müssen alle draußen bleiben. Die EU-Staaten bieten politisch Verfolgten zwar scheinbar Asyl, zwingen sie aber zu einer lebensgefährlichen Ausweichbewegung. Die Leichen im Meer sind Nebenwirkungen des Versuchs, sich illegale Einwanderer vom Hals zu halten.

Wenn Europa dieses zynische Spiel beenden will - und das sollte es dringend wollen -, dann bleiben zwei Wege: Entweder ändert die Union diese Richtlinie. Das ist unwahrscheinlich, weil eine Änderung mit der Diskussion über eine legale Einwanderung nach Europa verbunden wäre. Es wäre dann auch über ein Ende der Trennung in politische und Wirtschaftsflüchtlinge zu reden. Diese Diskussion muss geführt werden, aber das kann keine Ausrede sein, erst mal die Hände in den Schoß zu legen.

Oder die EU eröffnet Flüchtlingen die Möglichkeit, schon in ihrer Heimat oder anderswo außerhalb Europas um Asyl nachzusuchen, damit sie dann, mit dem Status des Antragstellers versehen, auf weniger mörderische Weise auf den gelobten Kontinent reisen können.

Das ist leichter gesagt als getan und mit enormen organisatorischen und politischen Schwierigkeiten verbunden. Aber es würde viele Tausend Menschenleben jährlich retten. Mit den Beschlüssen des Brüsseler Gipfels gelingt das vermutlich nicht.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2449296
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 24.04.2015
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.