Süddeutsche Zeitung

EU:Verschließt Frontex die Augen vor Rechtsverstößen?

Lesezeit: 2 min

EU-Innenkommissarin Johansson wird sich wegen der Flüchtlingssituation am Dienstag heftige Kritik von Parlamentariern anhören müssen. Besonders die Bedingungen im bosnischen Lager Lipa und die sogenannten Pushbacks stehen im Fokus.

Von Karoline Meta Beisel, Brüssel

Die Abgeordneten des Europaparlaments tagen weiterhin virtuell, aber auch per Videokonferenz lassen sich brisante Themen verhandeln: "Humanitäre Situation von Flüchtlingen und Migranten an den EU-Außengrenzen", das steht am Dienstagvormittag auf der Tagesordnung der Plenarsitzung. In Brüssel wird erwartet, dass EU-Innenkommissarin Ylva Johansson sich dort heftige Kritik anhören muss - aber auch selbst deutliche Worte finden wird.

Bei der Anhörung dürften zwei Themen besonders im Fokus stehen: Zum einen die Lage der mehr als tausend Menschen im bosnischen Flüchtlingscamp Lipa, die dort seit Wochen bei kaltem Winterwetter in menschenunwürdigen Verhältnissen ausharren. Und die wiederkehrenden Berichte über illegale "Pushbacks" an den Außengrenzen der EU, bei denen Migranten zurück über die Grenze gedrängt werden, ohne die Möglichkeit zu bekommen, einen Asylantrag zu stellen.

Entsprechende Berichte gibt es von der griechisch-türkischen Grenze auf dem Mittelmeer, aber auch von der bosnisch-kroatischen Landgrenze. Und immer wieder steht die Frage im Raum, ob die EU-Grenzschutzagentur Frontex die Augen vor solchen Rechtsverstößen verschließt, oder sogar an ihnen beteiligt ist.

Im Gespräch mit der SZ und anderen internationalen Zeitungen sagte Johansson am Montag, sie erwarte von Frontex und Behördenchef Fabrice Leggeri die transparente Aufklärung aller Vorwürfe. "Für mich ist es zu hundert Prozent klar, dass unsere eigene Agentur sich vollumfänglich an europäisches Recht und die Grundrechte halten muss", sagte sie. "Außerdem müssen sie in der Lage sein, zu beweisen, dass sie sich an alle Vorschriften halten."

Eigentlich hätten 40 Stellen Anfang Dezember besetzt sein sollen

Fragen stellten sich zum Beispiel weiterhin bei der Einstellung von 40 Beamten, die der Frontex-Verordnung zufolge die Einhaltung der Grundrechte durch die Mitarbeiter der Agentur überwachen sollen. Eigentlich hätten diese Stellen bereits bis Anfang Dezember besetzt sein sollen. Geschehen sei aber nichts, so Johansson. "Ich erwarte von Frontex, dass das nun so schnell wie möglich passiert."

Bei einer Anhörung im Europäischen Parlament Anfang Dezember hatte Leggeri zur Erklärung gesagt, es habe zwischen der Kommission und seiner Behörde Unstimmigkeit über die Einstufung dieser Posten gegeben. Das sind Vorwürfe, die die Kommission zurückweist: "Die wichtigsten Meilensteine in diesem Prozess hätten rechtzeitig erreicht werden können", anderweitige Behauptungen seien "befremdlich", schrieb die zuständige Generaldirektorin der EU-Kommission Ende Dezember in einem Brief an Leggeri, der der SZ vorliegt.

Auch an anderer Stelle wird der Brief deutlich: Die "überraschende Zurückhaltung" der Agentur, entsprechende Ratschläge der Kommission zu befolgen, habe den Ausbau des Mechanismus zur Wahrung der Grundrechte "behindert und verzögert". Infolgedessen habe "die Agentur mehrere Verpflichtungen nicht erfüllt, die in der Frontex-Verordnung klar und präzise festgehalten sind".

Angesichts der anhaltenden Vorwürfe hatten Sozialdemokraten und Linke im Europaparlament bereits Leggeris Rücktritt gefordert - Innenkommissarin Ylva Johansson wollte sich zu dieser Forderung mit Blick auf die laufende Untersuchung nicht äußern. Sie wies aber darauf hin, dass für die Kontrolle von Frontex nicht die Kommission, sondern der Aufsichtsrat zuständig sei, in dem neben der Kommission auch die Mitgliedstaaten vertreten seien. An diesem Mittwoch und Donnerstag tagt dieser Aufsichtsrat. Eine für diesen Zweck eingesetzte Arbeitsgruppe wird dort erstmals einen Bericht über die Vorwürfe wegen Pushbacks im Mittelmeer vorlegen.

Auch zu den Zuständen im bosnischen Flüchtlingscamp Lipa will sich Johansson am Dienstagvormittag äußern. Wenige Kilometer entfernt gebe es eine von der Kommission mitfinanzierte Einrichtung, in der 1500 Menschen praktisch sofort untergebracht werden könnten, und die auch winterfest sei, sagte sie. Es gebe auch bereits einen Beschluss des bosnischen Ministerrates, diese Einrichtung jetzt zu nutzen - aber die Behörden vor Ort ignorierten diesen Beschluss. Das sei "sehr frustrierend", sagte Johansson.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5178743
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.